Freunde des Horrorgenres gieren nach dem Adrenalinschub. Nichts treibt den Nervenkitzel so schön auf die Spitze wie perfekt platzierte Jumpscares. Aber haben billige Schockeffekte nicht langsam ihre Daseinsberechtigung verloren?
Dunkle Gänge, verlassene Lagerräume und beklemmende Stille. Jedes Feuergefecht mit der hauseigenen Spezialeinheit ist eine willkommene Abwechslung, während ich immer tiefer in die Forschungseinrichtung vordringe. Beinahe schon freudig begrüße ich jeden weiteren Kugelhagel. Alles ist besser, als alleine durch irgendwelche Versorgungsschächte oder Abwasserkanäle zu schleichen. Denn dort lauert etwas Schlimmeres als der Tod: Ein kleines Mädchen.
Schon in den ersten Momenten von F.E.A.R. ist klar, dass ich in diesem Spiel nicht Herr über meine Herzfrequenz sein werde. Aber es sind nicht die telepathisch befehligten Gegnerhorden, die einem das Blut stocken lassen. Alma, die Mutter des ganzen telepathischen Hokuspokus in F.E.A.R., zeigt sich wenig begeistert darüber, für militärische Forschung missbraucht zu werden. Immer wieder taucht sie in Halluzinationen des Spielers in Gestalt eines kleinen Mädchens auf.
Monoliths Horrorshooter ist für mich bis heute einer der besten des Genres. Unzählige Male huscht das Mädl im roten Kleid urplötzlich durchs Bild oder steht unerwartet direkt über einem, wenn man nichtsahnend eine Leiter hinabsteigt. Was spricht also gegen Jumpscares? F.E.A.R. verwendet diese Mechanik doch auch. Wie immer macht die Dosis das Gift. Am besten erläutert dies eine Szene aus einem Spiel, das kurz vor Alma für Schreckensschreie an den Schreibtischen gesorgt hat.
(My) Mother of all Jumpscares
Die Rede ist von DOOM 3. Anfang bis Mitte der 2000er Jahre war ich einigermaßen abgehärtet, was Horror anging. Die ersten beiden Auskopplungen von Silent Hill und Resident Evil liefen gerade in den Konsolen meines Freundeskreises heiß. Düstere Stimmung und Jumpscares waren uns vertraut. Was also sollte passieren, würde ich mich durch die verwinkelte, mit Imps verseuchte Marsbasis ballern? Licht aus, Jalousien herunter und zur Sicherheit noch bis Mitternacht gewartet, damit auch ja nichts den Horrortrip aufweichen konnte. Es folgten die Momente, die diesem Text den Titel geben sollten.
Enge Gänge, spärliche Beleuchtung. First Contact. Das erste Höllengetier findet den Weg in mein Fadenkreuz. Bratz! Hinfort mit euch, Diener des Bösen! Ihr könnt mir und meiner seltsam unförmigen Shotgun nichts anha….HOLY SHIT! Ein Treffer von hinten. Blitzschnell reiße ich die Waffe herum und blicke direkt in die Fratze eines riesigen Imps, der gerade aus dem Kabelschacht unter der Decke kriecht und sich vor mir aufbaut. Hilflos muss ich mitansehen wie sich meine Lebensanzeige dem absoluten Nullpunkt nähert. Keine Chance zur Gegenwehr. Vor Schreck habe ich meine Maus quer durchs Zimmer geschleudert. Sie ist in der Dunkelheit verschollen. Und mein Charakter ist tot.
Bis heute assoziiere ich DOOM mit sinnlos schockierenden Spawnpunkten im Rücken des Spielers. Ob das tatsächlich für das gesamte Spiel oder gar alle Varianten von DOOM gilt? Ich werde es nie erfahren. Derartig fiese Überraschungen überstiegen in diesem Moment alles, was ich bereit war zu ertragen. Meine Erinnerungen sind getrübt, vielleicht auch durch einen Schutzreflex verwischt. Ich meine, noch den einen oder anderen Versuch gegen die “Always from behind”-Gang unternommen zu haben. Spaß hat es keinen mehr gemacht. An diesem Tag haben ich dem Horrorgenre abgeschworen. Bis zum Release von F.E.A.R.
Die zwei Gesichter des Fürchtens
Jeder hat seine persönlichen Erwartungen für ein spezifisches Genre. Aus diesen Erwartungen entstehen für das Horrorgenre wohl zwei grundlegend verschiedene Weltanschauungen. Obwohl ich kein Angstjunkie bin, haben mich über viele Jahre Horrorfilme und -spiele immer fasziniert. Sie tun es auch heute noch, wenngleich sich mein Bedarf auf ein Minimum reduziert hat. Auf welche Arten entsteht also der Nervenkitzel für Kino und Wohnzimmer? Da wäre zunächst der “Silent Hill”-Typ:
Konamis Gruselserie ist Synonym dafür geworden, Angst durch das Setting zu erzeugen. Kaum ein Erlebnis illustriert dies so eindrucksvoll wie die Anfangsmomente von Silent Hill 2. Teil 1 führte den Spieler zuvor in eine geheimnisvolle Stadt voller dämonenhafter Erscheinungen, Ungewissheit und jeder Menge Nebel. Sichtweite -3. Man wusste, da war etwas, aber man konnte es nicht erkennen. Ein beklemmendes Gefühl, ständig von irgendetwas beobachtet oder verfolgt zu sein.
Genau dort knüpft Teil 2 an. Gleich zu Beginn wird der Spieler gezwungen, einen langen Waldweg entlang zu gehen. Geräusche in der Ferne, diffuses Licht und die beklemmende Erwartung eines Jumpscares. Doch Silent Hill gönnt uns die Genugtuung nicht, einen Schockeffekt voraussehen zu können. Es zermürbt uns langsam, indem es uns permanent vor Augen hält: “Ich könnte!”
Die zweite Herangehensweise sei natürlich nach dem zweiten Genrekönig benannt – der “Resident Evil”-Typ. Capcoms Pendant macht keinen Hehl um seinen Charakter. Es offenbart unverblühmt: “Ja, ich werde dich schrecken. Ja, hier sind große böse Mutanten hinter dir her.” Die Gewichtung liegt in der Resident Evil-Reihe deutlich mehr auf Action. Das bedeutet nicht, dass auf ein bedrohliches Setting verzichtet wird. Der Spieler findet ebenfalls Zeit, sich abseits von Feuergefechten ausgedehnt zu fürchten.
Die WTF-Momente kommen hier aber häufiger durch Jumpscares. Umso überraschender präsentiert sich der jüngste Titel der Serie. Resident Evil 7 spielt deutlich mehr mit Elementen wie Hilflosigkeit und Verzweiflung. Trägheit war in vergangenen Episoden immer ein probates Mittel, Verzweiflung im Spieler auszulösen. RE7 gewichtet diesen Faktor nun deutlich stärker als bisher. Schreckmomente existieren zwar nach wie vor reichlich, jedoch steckt mehr Liebe zum Detail in den Rahmenbedingungen.
Diverse Titel haben in der jüngeren Vergangenheit mit einer Tendenz weg von simplen Elementen wie Jumpscares aufgezeigt. Die Pilzköpfe aus “The Last of Us” müssen nicht mit Maschinengewehren niedergemäht werden, weil sie plötzlich durch Wände brechen. “The Evil Within” und “Slender” setzen starke Akzente mittels Fluchtszenarien und Hide&Seek-Elementen. Jumpscares sind zwar längst nicht ausgestorben, sie machen aber gefühlt viel seltener den Kern eines Horrorspiels aus. Ein Indiz für einen Wandel des Genres?
Mein DOOM-Trauma habe ich langsam überwunden. In Far Cry 4 musste ich sogar lächeln, als mir beim Herabklettern aus dem Durgesh-Gefängnis plötzlich ein Dämon entgegengrinste. Kurz habe ich überlegt, ob ihm wohl Almas rotes Kleid gut stehen würde. Langsam gewinne ich wieder Vertrauen in das Genre und ich frage mich, welches Horror-Game mich in Zukunft fesseln könnte.
Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!