“Du kannst im Unterricht jedes Thema mit jeder Art von Spiel behandeln”

Game Based Learning ist auf dem Vormarsch. Das Games Institute Austria treibt mit seinem neuesten Projekt Games for Good den Trend in Österreich weiter voran. Von Clemens Istel

Videospiele sind mehr als Unterhaltung. Das Games Institute Austria in Wien befasst sich bereits seit einigen Jahren mit Game Based Learning. Mit dem jüngsten Projekt, Games for Good, sollen Lernmaterialien zu Videospielen entstehen, um diese als Unterrichtsmittel zu etablieren. Wir durften mit Thomas Kunze, Gründer des Games Institute Austria und Kopf von Games for Good, über sein neues Projekt und den Status Quo des Game Based Learning sprechen.

Screaming Pixel: Kürzlich habt ihr euer neues Projekt Games for Good gestartet. Du nennst dich selbst Games Revolutionary. Was ist das Revolutionäre an Games for Good?

Thomas Kunze: Das Revolutionäre steckt eigentlich dahinter, nämlich die Auseinandersetzung mit oder das Nutzen von Spielen im Unterricht. Games for Good baut auf existierenden Strukturen auf. Das ist etwas, um den Leuten zu helfen, sich in Richtung der Revolution zu bewegen. Die Games for Good-Materialien sollen den Lehrern helfen, das einerseits im Bildungsbetrieb, also in Schulklassen, in Fächern, in Lehrplänen zu verankern. Andererseits geht es darum, auch den Eltern von jungen Gamern aufzuzeigen, dass Spielen eigentlich eine ziemlich schlaue Geschichte ist und es im realen Leben eine Anwendbarkeit findet.

Viele Menschen glauben nach wie vor, dass Spiele ein reines Unterhaltungsmedium sind. Wie wollt ihr mit eurem Projekt diese einbetonierte Sichtweise aufknacken?

Ich glaube nicht, dass die Sichtweise so einbetoniert ist. Das ist immer noch die allgemeine Wahrnehmung, aber ich habe in meiner Arbeit im Laufe der letzten Jahre gemerkt, dass die Verteilung unter den Lehrern, insbesondere unter den jungen Lehrern, genau so ist, wie unter der restlichen Bevölkerung auch. Fast die Hälfte aller Leute spielt regelmäßig. Auch in den Schulen kommt an, dass sich etwas verändern muss. Egal ob es um Digitalisierung oder neue Kompetenzausrichtungen geht. Spiele sind ein Werkzeug, das vieles bieten kann, was im klassischen Unterricht nicht möglich ist.

Vorträge über Games for Good

Um ein Bewusstsein für Game Based Learning zu schaffen, hält Thomas Kunze regelmäßig Vorträge

In Frankreich hat man kürzlich Handys aus dem Klassenzimmer verbannt. Geht die Welt da nicht in die entgegengesetzten Richtung von deinem Ziel? Wie weit sind wir da in Österreich?

Österreich ist im regionalen Vergleich nicht so weit hinten. Auch in Österreich findet diese Diskussion gerade statt. Sogar in der Regierung ist man sich der Tatsache bewusst, dass es in Sachen Infrastruktur vieles geben muss, was sich entwickelt. Gleichzeitig hat man aber keine Konzepte, wie man das inhaltlich und methodisch füllen soll und ist auf der Suche. Deshalb habe ich Hoffnung, dass wir unsere wissenschaftlich fundierte Arbeit am Markt platzieren können. Die Situation in Frankreich zeigt einfach die Ohnmacht im Umgang mit diesen Geräten, weil man sich nicht besser zu helfen weiß. Das gibt es in Österreich zum Teil auch. Aber ich glaube, das ist eigentlich kein Rückschritt, sondern das letzte Mittel, bevor man sich damit auseinandersetzen muss.

In Frankreich gilt das ja nur für die staatlichen Schulen. Und auch da gibt es Schulen, die stark dagegen auftreten. Die Gaming-Szene in Frankreich ist relativ stark, deutlich stärker als in Österreich zum Beispiel. Wenn große Partner wie Ubisoft bei diesen Themen auf Schulen zugehen, dann geht es plötzlich doch. Nur weil die Smartphones verboten sind, heißt das ja nicht, dass man nicht trotzdem mit Laptops oder Tablets arbeiten kann. Und das spielerische Lernen muss auch nicht immer nur digital sein.


Wo wir gerade von Ubisoft sprechen: Assassin’s Creed: Origins und die darin enthaltene Discovery Tour wird immer als der große Vorreiter des Game Based Learning im Triple-A-Bereich genannt. Machen die da schon alles richtig?

Nein. Die Discovery Tour ist sozusagen ein virtuelles Museum der Spielwelt. Damit weist man nicht direkt auf den klassischen Bildungsbereich der Schule. Institutionen, die neben Schulen einen Bildungsauftrag haben, wie Museen, Theater, Oper, etc., werden ihr Produkt in Zukunft virtuell vermarkten müssen. Das wird dann ganz ähnlich aussehen wie die Discovery Tour und wird möglicherweise in VR stattfinden.

Man zieht damit eben auch Leute, die vorher nur gespielt haben, zusätzlich noch in diese Schiene.

Das ist meiner Meinung nach auch der bessere Weg. Es ist leichter, die Gamer davon zu überzeugen, dass sie etwas lernen, als Schulen davon zu überzeugen, dass Spiele das richtige Lernmedium sind. Schulen sind dann doch ein konservativer, bewahrender Ort und das ist ja auch richtig so. Dementsprechend bewegen sich Lehrer und Schulen deutlich langsamer als die Gamer.

"Der Ansatz der Discovery Tour aus Assassin's Creed ist und bleibt relevant", meint Thomas Kunze

„Der Ansatz der Discovery Tour aus Assassin’s Creed ist und bleibt relevant“, meint Thomas Kunze

Wir haben von Wissensvermittlung durch Spiele gesprochen. In eurer Presseaussendung zu Games for Good ist außerdem von Skills wie Kommunikation, Kooperation, kritischem Denken die Rede. Wo siehst du in diesen Bereichen aktuell Spiele bzw. Vorreiter, die als Vermittlungsinstanz dienen?

Diese anderen Begriffe sind die sogenannten “Four C’s” der 21st Century Skills. Also Kommunikation, Kooperation, kritisches Denken und Kreativität. Die sind mit dem digitalen Spiel natürlich ganz stark verbunden. Kritisches Denken, klar: Jedes Spiel ist eine Reihe an interessanten Problemen. Der kreative Umgang mit Spielen ist auch leicht nachzuvollziehen. Und so ein Spiel wie League of Legends ist ganz stark kommunikations- und kooperationsabhängig. Im Augenblick diskutiert man den Einsatz dieser Werkzeuge in der Unternehmensberatung.

Braucht es auch immer einen Tutor, der mit dir gemeinsam aufarbeitet, was du gerade gemacht hast und welche Learnings daraus zu ziehen sind?

Fast immer ja. Die Einbettung ist essenziell. Ansonsten ist es ja nur “Spielen”, nur unterhaltsame Auseinandersetzung. Du möchtest aber gerade diesen Transfer, dieses Reflektierende haben. Spiele werden bei jenen Dingen am Spannendsten, die man nur ganz schwer unterrichten kann. Beispielsweise Empathie, Durchhaltevermögen oder Frustrationstoleranz.

Nun gibt es unterschiedliche Lerntypen und auch Menschen, die für Spiele nicht die nötige Empathie aufbringen können. Gibt es also auch Menschen, die mit Videospielen gar nicht lernen können?

Da bin ich absolut anderer Meinung. Die Lerntypentheorie ist eigentlich schon seit ein paar Jahren widerlegt. Das ist ein Hilfskonstrukt. Es gibt ja für Spiele diese Bartle taxonomy, die Spieler in “Achiever”, “Killer”, “Sozializer” und “Explorer” unterteilt. Sowas ist teilweise hilfreich und auch nicht vollkommen falsch, aber das sind Ausgangspunkte. Natürlich ist nicht jedes Spiel für jeden. Der eine knobelt mehr, der andere ist lieber sozial, der dritte schießt gerne und braucht Achievements. All das ist legitim. Irgendeine spielerische Auseinandersetzung sollte jeder pflegen. Menschen, die überhaupt nicht spielen und auch nicht spielen wollen, sind mir immer sehr suspekt. Du kannst jedes Thema mit jeder Art von Spiel behandeln. Es gibt inzwischen viele Spiele, die sehr narrativ sind, in denen du eigentlich keine Interaktion hast und keine Skills brauchst. Auch sowas kann ja spannend und gewinnbringend für die Bildung sein.

Wie würde eine prototypische Schulstunde anhand eurer Idee aussehen? Sagen wir in Biologie.

Oberstufe Biologie. Wenn es um die Genetik und die Vererbungslehre geht, würde ich zum Beispiel Niche – a genetics survival game verwenden. Darin kreiert man eine Tierart, die man über Generationen begleitet. Dabei kann es zu unterschiedlichsten Mutationen kommen. Die einen sind besser geeignet und setzen sich durch. Die anderen sind nicht so gut geeignet und sterben aus. Was man da spielt ist eigentlich wie ein interaktiver Genetikbaukasten, der natürlich auch zum Probieren einlädt. Ich behaupte nicht, dass das Spiel so authentisch wäre und so akkurat zum Lehrplan und vermittelten Wissen passt, dass man das unkritisch hinnehmen sollte. Aber das ist ja eben auch eine sehr spannende Auseinandersetzung.

Ich bräuchte auch die technische Ausstattung, etwa Laptops oder einen Computerraum. Mit Spielesessions von 20 Minuten kann man dann schon etwas anfangen. Am Beginn präsentiert man das Spiel und fängt dann vom Spiel ausgehend an zu reflektieren. Wenn man im Thema schon weiter ist, würde ich Spiel- und Recherchephasen oder Spiel- und Projektphasen, also irgendetwas Produktions- und Handlungsorientiertes, etwa so ein Biotop nachzubauen oder den Stammbaum, den ich im Spiel spiele abzubilden, variieren. Ich würde mir einen klaren Rahmen setzen: Thema Genetik, sechs Wochen lang, jede Woche zwei Stunden. Dann spiele ich in diesem Projekt das Spiel fünf bis acht mal á 20 Minuten. Gebe es zum Teil als Hausaufgabe auf. Zwischendurch setze ich andere Punkte, um auch multimedial zu arbeiten, die Schüler zu aktivieren und klassische Kompetenzen (Recherche, Textkompetenz, Schreibkompetenz, das Verstehen von Statistiken etc.) mit dem, was ich im Spiel tue, zu verknüpfen.

Das heißt, es ist nie nur ein Fachgebiet, sondern kombiniert immer mehrere Bereiche, mehrere Elemente, oder Skills, die man dadurch lernt.

Um sicher zu gehen, dass es relativ breit ist, habe ich weitere Kompetenzen, weitere Handlungen, weitere didaktische Aspekte in das Projekt mit hineingepackt. Niche ist nichts anderes als ein Biologiebaukasten und deshalb sehr monothematisch. Man wird es ansonsten nicht anderweitig verwenden. Je größer ein Spiel, beziehungsweise je interessanter das System dahinter,ist, umso mehr kann man damit arbeiten.

Programmiert ihr selbst auch? Gibt es ein vollwertiges Games Institute Austria Lernspiel?

Nein. Bisher nicht. Ich habe es auch in naher Zukunft nicht vor.

Mit welchen Spieleentwicklern, Schulen und Universitäten arbeitet ihr bereits? Wo ist Games for Good schon im Einsatz?

Es ist eine ganz neue Idee. Wir haben die Projektidee erst zur Gamescom 2018 gepitcht. Es finden jetzt Gespräche mit Entwicklern und Publishern statt, deren Namen ich aber noch nicht verraten kann. Wenn es um die Kooperation mit dem Bildungsmarkt geht, habe ich das Vergnügen mit verschiedenen Universitäten zu arbeiten. Zum Beispiel mit der Pädagogischen Hochschule Wien oder der Universität in Krems. Wir helfen auch bei der Lehrerfort- und -ausbildung, zum Beispiel in Luxemburg. Nach und nach auch in Skandinavien. Die sind besonders offen und bringen auch gaming-affine Firmen in Schulen hinein. Ansonsten suchen wir uns Unternehmen. In Wien gibt es die OVOS, die schon in dem Bereich aktiv sind. Auch an europäischen Projektausschreibungen sind wir dran – sei es jetzt Horizon 2020 oder ERASMUS. Da tut sich viel und unsere Expertise ist sehr gefragt.

Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die großen Publisher sich mehr mit Game Based Learning auseinandersetzen und weitere eigene Produkte kreieren?

Maßgebliche große Studios tun das ja bereits. Jedes Studio, das IPs besitzt, die lernrelevant sind, wird sich früher oder später dafür öffnen. Letztlich werden die großen Studios diejenigen sein, die das vorantreiben und die Schulen und Unis knacken. Die bringen das Geld mit.

Wir haben jetzt sehr viel von der Produktions- und Ausführungsseite gesprochen. Welche Rolle spielen in deinen Augen die Eltern der Gamer? Speziell bei den jüngeren, wenn es um das Lernen und Auseinandersetzen mit Spielen geht.

Schwierig pauschal zu beantworten. Im Großen und Ganzen spielen die Eltern eine große Rolle. Sie sind sich dessen auch immer mehr bewusst, sind aber noch nicht in der Lage, die Rolle entsprechend anzunehmen. Es geht nicht nur darum, den Bildungswert zu erkennen oder ein Buch oder Material dazu zu kaufen. Eltern sollten schon eine Gewisse Kompetenz entwickeln, um einzuschätzen, was da eigentlich gespielt wird.

Was sind nun die nächsten Schritte und Ziele für das Games Institute Austria und Games for Good?

Für das Projekt Games for Good wollen wir erst einmal die ersten Verträge zum Abschluss bringen und dann veröffentlichen. Wir möchten sehr gerne bis Anfang nächsten Jahres für zwei bis drei Spiele die ersten Materialien herausbringen und die am liebsten auch über die großen Plattformen anbieten. Bevorzugt über Steam, als eine Art Lern-DLC für die Spiele, mit denen wir dann arbeiten. Als weiteres Ziel, wenn dann diese Materialien funktionieren, hoffen wir natürlich weitere Studios und Publisher zu finden, die Interesse haben. Spiele gäbe es genügend dafür, auch im Bereich Österreich und Deutschland. Danach möchten wir das Ganze als eine digitale Serviceplattform weiterentwickeln. Du könntest also eine Art Abonnement abschließen, das dir Zugriff auf alle unsere Materialien zu all unseren Spielen garantiert. Das gibt uns eine gewisse Sicherheit in der Planung und auf der anderen Seite ist so auch eine bessere Dienstleistung möglich.

Dann bliebe nur noch eine abschließende, persönliche Frage. Was ist das wunderbarste/wichtigste/bemerkenswerteste, das du selbst aus einem Spiel gelernt hast?

Spontan geschossen, ich war nicht nur Gamer, ich war die letzten 20-25 Jahre immer schon ein passionierter Zuschauer und Mitspieler. Wenn man Strategiespiele spielt, ist es oft ganz gut, wenn man reflektieren kann. Ich saß oft mit Freunden oder meinem Bruder zusammen und wir haben große, schwierige Spiele gespielt. Wir haben dann miteinander wie beim Schach philosophiert, reflektiert und ausprobiert. Eine der großartigsten Sachen, die ich lernen und auch trainieren durfte, war taktisches und strategisches Verhalten zu begreifen, unabhängig von spezifischen Situationen. Wie man taktiert oder wie eine gute Strategie aussehen kann und was es für einen Zeitpunkt braucht, um eine Strategie über den Haufen zu werfen. Das ist das eine. Das andere ist tatsächlich, dass Spiele miteinander mehr Spaß machen. Couch-Coop ist das Geilste, was man machen kann.


Bilder © Thomas Kunze/Games Institute Austria

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!

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