Gast Kommentar
Nicht nur uns beschäftigen Videospiele und ihre Macher. Auch diverse Gäste bieten spannende Perspektiven auf aktuelle Themen und bekommen auf Screaming Pixel eine Chance, ihre Meinung kundzutun.
An dieser Stelle sprechen wir eine Spoilerwarnung für die genannten Spiele aus!
The Butterfly Effect. Eine kleine Entscheidung verändert alles. Ein bewährtes Spielprinzip, das in den letzten Jahren immer mehr an Beliebtheit gewann. Bereits der gleichnamige Film von Eric Bress und J. Mackye Gruber aus dem Jahr 2004 behandelt dieses Phänomen. Die Theorie geht davon aus, dass eine kleine Änderung der Ausgangssituation eine gewaltige Auswirkung auf das Endergebnis haben kann. Dabei ist dieser Effekt kein Hirngespinst aus Hollywood, sondern hat wissenschaftliche Wurzeln.
Der Mathematiker und Meteorologe Edward N. Lorenz prägte den Begriff der Chaostheorie und den des Schmetterlingseffektes. Er bemerkte, dass die kleinste Veränderung seines einfachen, am Computer simulierten Wettermodells das Endprodukt stark beeinflusste. Der Begriff Schmetterlingseffekt entstand, weil bei seinen Messungen die verwendeten Gase und Flüssigkeit die Form zweier Schmetterlingsflügel bildeten.
Dieses Phänomen kann man in vielen Forschungsbereichen finden. Zum Beispiel kann eine geringe Abweichung der Umlaufbahn des Mondes in der Zukunft gravierende Auswirkungen auf die Erde haben.
Auch Spiele machen sich dieses Prinzip zunutze. Entscheidungen, die die Spieler treffen, haben Einfluss auf den späteren Spielverlauf. So erhöht sich nicht nur der Wiederspielwert der Games. Auch die Bindung zu den Charakteren wird dadurch gestärkt. Man fühlt sich, als wäre man selbst in der Situation und gerät oft unter Zugzwang. Meistens treffen wir dabei nicht die logischste Entscheidung sondern die, die auch wir selbst treffen würden. Das führt zu einer Personalisierung der Charaktere und einem intensiven Spielerlebnis.
In den letzten Jahren kamen einige Spiele mit dieser Mechanik auf den Markt. Die wohl bekanntesten sind die eingangs erwähnten Heavy Rain, Until Dawn und Life is Strange. Bei allen drei Titeln hängt der Spielverlauf stark von den Entscheidungen der Spieler ab. Jedoch gehen die Titel unterschiedlich mit dieser Mechanik um.
Der Name ist Programm. Das Ziel des Spiels ist es, alle Protagonisten bis zum Morgen – also Until Dawn – am Leben zu halten. Es geht um eine Gruppe von Teenagern, die einen Ausflug auf eine Skihütte unternehmen. Schnell wird klar, dass sie hier oben nicht alleine sind und so beginnt ein Kampf ums Überleben.
Man wechselt zwischen den Charakteren hin und her und versucht krampfhaft die richtigen Entscheidungen zu treffen. Zudem muss man die Quicktime-Events, die natürlich, oh Überraschung, nur in verdammt stressigen oder gruseligen Passagen eingebaut wurden, meistern. Schafft man das nicht, hat das meist den äußerst kreativ gestalteten Tod eines Charakters zur Folge.
In einer Szene mit Chris hat man die Wahl eine Waffe auf Ashley, oder auf sich selbst zu richten. Wenn man die Waffe auf Ashley richtet, öffnet diese aus Wut im späteren Spielverlauf Chris nicht die Türe zur Hütte. In dem Fall wird Chris von einem Wendigo getötet.
Until Dawn kommuniziert das Spielprinzip offen. Direkt am Anfang des Spiels wird man mit dem Begriff Schmetterlingseffekt vertraut gemacht. Der erste Bildschirm, den man zu Gesicht bekommt, zeigt einen Schmetterling und den Spruch: „Ein Flügelschlag eines winzigen Schmetterlings heute, kann in einigen Wochen zu einem verheerenden Hurrikan führen“. Der Spieler weiß also sofort, worauf es in dem Spiel ankommt.
Das Spiel erklärt weiter: „Die kleinste Entscheidung kann die Zukunft dramatisch verändern. Deine Handlungen formen den Verlauf der Geschichte. Deine Geschichte ist eine von vielen Möglichkeiten. Wähle deine Handlungen mit Bedacht“.
Das ist nicht der einzige Punkt, an dem Until Dawn den Schmetterlingseffekt erwähnt. Chris und Sam unterhalten sich in einer Cutscene darüber, wie Chris seinen besten Freund Josh kennengelernt hat.
Chris: „Weißt du, seit wann ich Josh kenne? 3. Klasse. Josh saß ganz hinten im Raum und ich saß ganz vorne. Wir wussten nicht einmal, dass der Andere existiert. Aber dieser Junge neben Josh hat das Mädchen vor ihm immer an den Trägern ihres Sport-BHs gezogen und deshalb setzte der Lehrer ihn nach vorne, wo ich saß. Und ich musste nach hinten und neben Josh, als Banknachbar. Und dann wurden wir Freunde und sind es bis jetzt“.
Sam: „Vorbestimmt vom Schicksal“.
Chris: „Wäre es nicht so gewesen, dass Jeany Simmons in der Pubertät war, drei Jahre zu früh, und sie an dem Tag keinen weiten Ausschnitt hatte aus dem ihr Sport BH geschaut hat… Ich meine wer weiß? Du wärst heute in dieser Seilbahn vielleicht alleine, gerade jetzt. Oder würdest dich mit jemand völlig anderen unterhalten. Boom! Schmetterlingseffekt“.
Die Protagonistin des nächsten Titels muss jedoch schmerzlich erfahren, dass es nicht nur Gutes mit sich bringt, wenn man die Zeit zurückdrehen kann.
Max Caulfield studiert Fotografie an der Blackwell Academy in Arcadia Bay. Ihr Leben läuft aus dem Ruder, als sie bemerkt, dass sie die Zeit zurückdrehen kann. Sie versucht, Dinge, die falsch liefen, wieder geradezurücken und vergisst darauf, dass kleine Veränderungen in der Vergangenheit auch unerwünschte Nebenwirkungen in der Zukunft haben können.
Als Spieler muss man genau überlegen, welche Auswirkungen die eigenen Handlungen haben könnten. Im Verlauf des Spiels informiert sich Max, zusammen mit ihrem Freund Warren, über die Chaostheorie und muss lernen, dass ihre Zeitreisen parallele Dimensionen erschaffen.
Man fühlt sich beim Spielen sehr an den Film “The Butterfly Effect” erinnert. Max und Evan teilen ein ähnliches Schicksal. Beide wollen Ereignisse in der Vergangenheit ändern, um einer geliebten Person ein besseres Leben zu verschaffen. Außerdem müssen beide feststellen, dass man eigentlich alles nur noch schlimmer macht.
Es werden im Spiel durch Dialoge auch immer wieder Popkultur-Anspielungen auf Zeitreisen gemacht. So sagt Warren zum Beispiel: „I’m in the Tardis, getting my Delorean ready!“
Auch Max spricht oft ironisch über ihre Gabe, die sich im Spielverlauf eher als Fluch herausstellt.
„When a door closes, a window opens… Or something like that.“
„I wish I could stay in this moment forever. I guess I actually can now, but then it wouldn’t be a moment.“
„With great power comes great bullshit.“
Das Spiel ist in fünf Episoden aufgeteilt. Im dritten Kapitel – “Chaos Theory” – erlernt Max eine neue Fähigkeit: Zusätzlich zum Zeitreisen, kann sie durch Fotos in die entfernte Vergangenheit reisen, um diese zu verändern. Als sie den Tod von Chloes Vater verhindert, erschafft sei eine parallele Gegenwart, in der Chloe wegen eines Autounfalls querschnittsgelähmt ist. Chloe bittet Max, sie von ihrem Leid zu erlösen. Alle Anzeichen deuten also darauf hin, dass Chloe sterben muss, egal was passiert und egal was Max ändert.
Getreu dem Leitsatz der Chaostheorie kreiert Max am Ende des Spiels durch die Veränderung der Vergangenheit einen Tornado, der ihre Heimat zu verwüsten droht. Nun steht man als Spieler vor der wohl schwersten Entscheidung, die man in einem Gamerleben treffen muss. Rettet man Chloe, die beste Freundin, für die man immer und immer wieder die Zeit zurückgedreht hat, um sie vor dem Tod zu schützen und überlässt Arcadia Bay dem Untergang, oder lässt man Chloe sterben um die Stadt und all ihre Bewohner zu retten.
Danke Spiel, danke für Nichts. Man macht stundenlang nichts anderes, als seine beste Freundin zu retten um sie dann am Ende, wenn man die moralisch richtige Entscheidung treffen will, sterben zu lassen. Das ist doch mal ein Happy End.
Im Vergleich zu den bereits genannten Titeln haben in Heavy Rain die Entscheidungen der Spieler einen kleinen Einfluss auf den Verlauf der Handlung bis zum Ende des Spiels. Das Finale und die Zukunft der Charaktere sind jedoch stark von den gewählten Optionen abhängig.
Heavy Rain wendet also eine subtilere Variante des Spielprinzips an. Die Handlungen haben zwar Auswirkungen auf den Spielverlauf, jedoch wird die Thematik selbst im Spiel nicht behandelt.
Das Spiel zeigt einem verschiedene Gedankengänge an, die um den Kopf des Charakters schwirren und nach einer gewissen Zeit verblassen. Dadurch entsteht ein gewisser Handlungsdruck beim Spieler, der oftmals dazu führt, unüberlegte Entscheidungen zu treffen.
Die Handlung dreht sich um Ethan Mars, dessen Sohn vom sogenannten Origami Mörder entführt wird. Er bekommt einen Schlüssel zu einem Schließfach, in dem er fünf Origamifiguren findet. Er muss fünf Aufgaben lösen, um die Liebe zu seinem Sohn zu beweisen. Es gesellen sich noch weitere Charaktere zum Protagonisten. Zur Aufgabe des Spielers wird es, unter den spielbaren Charakteren den Mörder ausfindig zu machen, die unschuldigen Personen am Leben zu halten und Ethans Sohn zu retten.
Beim ersten Mal durchspielen merkt man nicht, dass mehrere Wege zielführend sind. So muss man zum Beispiel die fünf Aufgaben nicht bewältigen, da der Sohn auch durch andere Charaktere gerettet werden kann.
Die überlebenden Charaktere haben einen großen Einfluss auf die Endsequenz. So kann zum Beispiel Ethan als Origami Mörder verhaftet werden oder eine Beziehung mit Madison Page, einer weiteren Protagonistin, eingehen und mit ihr und seinem Sohn in eine Wohnung ziehen.
Der Gedanke bei all diesen Titeln ist gleich: Wähle weise und denke über die gegebenen Optionen nach, sonst bereust du es später höchstwahrscheinlich. Dabei liegt das Schicksal der Protagonisten in den Händen der Spieler. Man wird zu seinem eigenen Geschichtenschreiber.
Die „Ach hätte ich doch bloß, warum hab‘ ich denn nicht“-Momente sind definitiv bei jedem der drei Spiele gegeben, womit sie ihr Ziel erreicht haben. Man denkt nach dem Durchspielen über jede Entscheidung nach und grübelt, was man hätte anders machen können. Bis man sich schlussendlich nach kurzem Abreagieren wieder an ranwagt, um es besser zu machen.
Spiele wie diese kreieren einen ganz besonderen Flair. Durch die Entscheidungsmöglichkeiten geben die Entwickler der Handlung Tiefgang und Wiederspielwert. Zudem freut man sich als Spieler über die liebevoll gestalteten Charaktere und darüber, dass man deren Persönlichkeit besser kennen lernen kann. Diese Spiele heben die Emotionen des Spielers auf eine neue Ebene. Man ist für den Charakter verantwortlich. Man ist Schuld, wenn der Charakter stirbt. Man fühlt sich schlecht, wenn es dem Charakter auf Grund einer von uns falsch getroffenen Entscheidung schlecht geht.
Es kann natürlich viel schief gehen bei solchen Spielen. Vor allem läuft man Gefahr, den roten Faden zu verlieren. Bei vielen parallel laufenden Handlungen kann es passieren, dass man sich nicht mehr auskennt, oder sich Logikfehler einschleichen. Es kann auch schwierig sein, eine Bindung zu vielen unterschiedlichen Charakteren aufzubauen. Bei Until Dawn spielt man acht verschiedene Charaktere. Natürlich hat man da zu dem einen mehr Sympathie als zu dem anderen, und vielleicht lässt man den ein oder anderen auch eher sterben. Trotzdem findet das Spiel eine gute Balance.
Interaktive Filme sind nur dann erfolgreich, wenn sie die Balance zwischen Spiel- und Filmelementen finden. Schöne Cutszenes gehören genau so dazu, wie stressige Quicktimeevents an der richtigen Stelle und nachvollziehbare Charaktere. Until Dawn, Heavy Rain und Life is Strange schaffen es, genau diese Balance zu finden und zeigen, dass uns nichts mehr fesselt, als eine gut erzählte Story.
Titelbild: ©Square Enix
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