Gaming Journalismus zwischen kopierten Pressemeldungen und feuilletonistischem Gesäusel. Es muss sich etwas ändern! Von Clemens Istel
Was soll Gaming Journalismus tun? Er informiert und berichtet über tatsächlich Neues. Er ordnet ein und gibt den Geschehnissen der Welt Kontext. Er fördert Wissenswertes zu tage, das ohne die Arbeit von Journalisten vielleicht verborgen bliebe. Deshalb ist besonders wichtig, für wen er das tut: Die Menschen, die ein Interesse an seinen Inhalten haben könnten, sollten und müssten.
Der Journalist ist mit seiner Arbeit der Gesellschaft verpflichtet. Deshalb haben wir Screaming Pixel gegründet. Gerade im Bereich Gaming hinkt der Journalismus noch gewaltig hinterher. Dabei liegt das Problem nicht darin, dass es keine guten Publikationen gäbe. Es ließen sich sowohl in Österreich als auch auf internationaler Ebene renommierte und reichweitenstarke Medien auflisten, die ausgezeichnete Beiträge zur Videospielwelt bringen.
Gaming Journalismus geht unter
Vielmehr existiert neben den seriösen Gazetten eine wahre Flut von Medien, die allzu oft nur Marketingbotschaften duplizieren und auf jeder Hypewelle mitreiten. Das muss selbstverständlich differenziert betrachtet werden. Nicht jedes Medium ist sofort unseriös, wenn es die Stärken des neuen Triple-A-Titels beschreibt.
Das erste Problem liegt bereits darin, dass potentiell alle in der heutigen Zeit ein Medium gründen können. Zumindest im digitalen Bereich. Ein WordPress-Account oder eine Seite bei Medium reichen, um den eigenen kleinen Gaming Blog zu betreiben. Dadurch liegt die Informationshoheit längst nicht mehr bei alteingesessenen Publikationen, die mit jahrzehntelanger Erfahrung aufwarten können.
Die Optik machts
Mitunter sind diese Websites hochprofessionell gestaltet. Mit wenig Aufwand finden sich die passenden Templates. Außerdem existieren noch genügend Varianten von authentisch klingenden URLs für jene, die tatsächlich einen eigenen Webspace für ihre Instanz mieten. Kritisch sind dann aber die Inhalte dieser Seiten und wie sie sich nach außen präsentieren.
Ein aufstachelnder Teaser via Facebook ist schnell in die digitale Welt geschossen. Eine minimal adaptierte Pressemitteilung spart Zeit und bringt schnellen Content. Die Zugänge zu Pressemeldungen sind außerdem selbst für jeden noch so kleinen Content Creator ohne Hürde zugänglich. Für eine tiefergehende Recherche bedarf es schon deutlich mehr Einsatz.
“Aber diese Möglichkeiten des Web haben auch einige sehr informative Plattformen und Persönlichkeiten hervorgebracht”, werden jetzt manche zurecht entgegnen. Das stimmt. Auch Screaming Pixel würde es in seiner jetzigen Form ohne die Möglichkeiten des Web 2.0 wohl nicht geben. Die Krux liegt in der Verführung durch Statistiken.
Jeder möchte die große Reichweite erzielen. Sei es für das eigene Ego oder unternehmerisches Kalkül, weil dadurch potentiell mehr Werbekunden oder Klicks auf Affiliate Links generiert werden. Reichweite ist ein zentrales Überlebenskriterium für Medien. Sie liefert Motivation, Einnahmen und Wachstum.
Welcher Content zieht?
Welche Möglichkeiten können wir nun ausschöpfen, um die geliebten Zugriffszahlen in die Höhe schnellen zu lassen? Welche Inhalte kommen bei Lesern gut an und welche empfehlen sie sogar weiter? Als Idealist müsste die Antwort lauten: “Völlig egal! Nur der Service am Leser zählt.”
Ganz so einfach ist das aber leider nicht. Zum einen wünschen sich Menschen deutlich mehr Zerstreuung und leicht Verdauliches, als sie in einer Befragung zu ihrem Medienkonsum zugeben würden. Das ist auch völlig legitim. Die Sozialwissenschaften sprechen in diesem Fall von Antworttendenz, wenn man auf Befragungen eher mit jener Antwort entgegnet, von der man glaubt, dass sie sozial erwartet würde.
Ein Blick in die Diskussionsforen der sozialen Medien wie Facebook könnte eine recht erschreckende Ausprägung dieses Phänomens zeigen. Auf einen kritischen Bericht zu Kingdom Come: Deliverance kommentierte ein User unter unseren Artikel etwa: “Reats a Lackerl.” Zu Hochdeutsch: Heult nicht rum!
An anderer Stelle bekam ich in einer Diskussion um den gigantischen Hype zu Red Dead Redemption 2 erklärt, es gäbe an den PR-Botschaften von Take Two/Rockstar Games auch nicht das Geringste zu hinterfragen. Teil 1 des Spiels war gut und somit wäre die Fortsetzung über jeden Zweifel erhaben.
Diese Diskussion fand mehrere Wochen vor Release des Spiels statt. Die Infos waren noch alles andere als ausführlich und Rockstar Games hatte zum damaligen Zeitpunkt seit rund acht Monaten sämtliche Presseanfragen unsererseits vollständig ignoriert.
Man könnte also den Eindruck gewinnen, dass wirklicher Gaming Journalismus, tiefgreifende Recherchen oder gar jegliche Kritik am Heiligtum Videospiel nicht erwünscht seien. Das ist, Gott sei Dank, nur ein Teil der Realität. Auch Thomas Kunze gab am Rande eines Interviews zu bedenken: “Ich glaube tatsächlich, dass das nur eine laute Minderheit ist.”
Spiele bleiben ein Rückzugsort
Nichtsdestotrotz stellen Videospiele für viele immer noch einen Safe Space dar. Eskapismus ist und bleibt ein zentrales Thema bei digitalen Unterhaltungsmedien. Selbst die Redakteure (Screaming Pixel eingeschlossen) besonders kritischer oder feuilletonistischer Medien werden hier und da einen Moment der Ruhe zu schätzen wissen, wenn nach der Arbeit das Lieblingsspiel über den Screen flackert.
Für den einen oder die andere sind Spiele vielleicht sogar das einzige Hobby und damit der wichtigste Rückzugsort. Entdeckt die Presse ausgerechnet am Lieblingsgame einen Makel, verwundert eine aggressive Abwehrreaktion eigentlich nicht. Viel zu oft sind wir dabei aber versucht, diese Reaktion als Fanboytum zu diffamieren. In Wahrheit zeigt aber auch ein solches Verhalten zunächst einmal nur, welchen Stellenwert Spiele in unserem Leben bereits innehaben können.
Privilegien und Pflichten
Sollten wir deshalb auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem Medium verzichten? Ihr kennt die Antwort. Gaming Journalismus muss sich wieder im Klaren darüber sein, wer seine Zielgruppe ist. Nämlich einfach alle, die Spiele spielen.
Wie erreichen wir Menschen, die bisher keinen Gedanken an die psychologischen Tricks hinter FIFA Ultimate Team verschwendet haben? Wie erklären wir, dass America’s Army nicht einfach nur ein harmloser Shooter ist? Wie begeistern wir Menschen noch mehr dafür, in einem NieR: Automata die Metageschichte zu erleben? Und wie schaffen wir all das, ohne dabei wie arrogante elitäre Schnösel zu wirken, die die Weisheit mit Löffeln gefressen haben?
Diese Fragen sollten uns in Zukunft deutlich mehr beschäftigen als die Suche nach dem perfekten Meme für Instagram. Uns Medienmachern muss unsere Verantwortung wieder bewusst sein. Wenn also IGN ein Pseudo-Exklusivinterview mit den Machern von Red Dead Redemption 2 veröffentlicht, das defacto keinen Mehrwert im Vergleich zur fünf Minuten davor ausgesendeten Pressemitteilung des Studios bietet, mag der Deal gut für die Wirtschafter gewesen sein. Für die vielen Konsumenten eines so professionell anmutenden Mediums war das eine Nullrunde.
Auch diverse deutschsprachige Medien ringen mehr mit der Quote, als sich auf journalistische Ideale zu konzentrieren. Vergleicht man etwa einige Newsbeiträge auf Gamers.at mit den offiziellen Presseaussendungen zu den Themen, muss man die Unterschiede schon sehr genau suchen. Solche Mitteilungen einfach im Original zu übernehmen, ist eine gängige Praktik und zeigt klar die Probleme des Gaming Journalismus und des Journalismus im Allgemeinen.
Manchmal landen Artikel mit völlig undifferenzierten Teasern in sozialen Medien zur Verbreitung. GamePro feierte beispielsweise in einer Facebook Copy das neue Darksiders 3 ab. Von der Mehrheit der Kritiker erntete das Spiel für seine Rückentwicklung und das reduzierte Gameplay aber harsche Kritik. Kurz darauf erschien ein Artikel über einen berühmten Entwickler, der in dasselbe Horn stieß, den GamePro wie folgt teaserte: “Endlich sagt’s mal jemand.”
Dass Medien aufgrund des zerstörten Anzeigenmarktes seit einiger Zeit in der Krise stehen und um ihre finanzielle Existenz bangen, ist wohl bekannt. Soziale Medien wie Facebook gießen mit ihren Algorithmen noch zusätzlich Öl ins Feuer. Zum einen belohnt ein solches Netzwerk jenen Content, der viele Interaktionen zieht. So werden Teaser und Kurzbeschreibungen auf “natürliche” Weise reißerischer. Mitunter passen sie dann gar nicht mehr exakt zum verlinkten Text.
Die guten Beiträge, die zweifelsohne ebenso in den kritisierten Publikationen zu finden sind, gehen im Reichweitenkampf unter. Etablierte Medien sägen am eigenen Ast, wenn sie sich durch derartige Praktiken den Ruf zerstören. Somit könnte man das praktizierte Intereffikationsmodell wie im Falle IGN (RDR2) oder jüngst Game Informer (Sekiro), also der Tausch von exklusiver Berichterstattung für geplante Publizität zwischen Medium und PR-Apparat, durchaus schon als Verzweiflungstat interpretieren.
Fehler aufzeigen und neu orientieren
Wer nun denkt, diese Praktiken blieben unerkannt und unreflektiert, der irrt. Die Medienkritiker sind gerade im Gaming Journalismus auf dem Vormarsch. Denn Blogger und YouTuber werfen immer genauere Blicke auf die Videospielindustrie und nicht zuletzt auf ihre Marketing- und Public Relations-Abteilungen.
Der Blogger und ehemalige Gamestar-Journalist Jannick Gänger etwa kritisiert einige Praktiken des heutigen Gaming Journalismus hart und spart auch nicht mit scharfen Worten in Richtung seiner ehemaligen Kollegen. Manche mögen den Tonfall für zu polemisch halten, aber Gänger zeigt schonungslos, wo unsere Zunft derzeit versagt: am Service für die Leser. Mit ausführlichen Beispielen dokumentiert er dies auf seinem eigenen Portal sowie in einer Kolumne auf SPIELKRITIK.com.
In der heutigen Informationsflut haben auch einige Medien selbst zumindest in Ansätzen auf die Bedürfnisse unserer Zeit reagiert. Immer öfter sieht man Beiträge, die gegenüberstellen, was über ein Spiel bekannt ist und vor allem, was nicht. Aus nichts Nachrichten zu machen, erscheint auf den ersten Blick paradox, steuert aber immerhin den vielen Gerüchten und Spekulationen entgegen, die sich an die Message Control der Publisher anschließen.
Screaming Pixel hat sich deshalb ganz bewusst entschieden, tagesaktuelle News außen vor zu lassen. Wir warten ab, tauchen tiefer ein, analysieren länger und bringen gesicherte Infos, wenn wir sie wirklich haben. Obwohl das gerade bei umfangreichen Games wieder zu ganz eigenen Problemen führt.
Dennoch braucht es in einer schnelllebigen Welt manchmal einen Ruhepol. Nicht jeder Hype ist gerechtfertigt. Nicht jeder vermeintliche Leak ist gleich die große Offenbarung. Macht euch einen Tee. Wir sehen uns das mal an.
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