Gast Kommentar
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Auch wenn es absurd klingt – meine Anfänge mit Rennsimulationen (am PC) habe ich tatsächlich weder an einem Lenkrad noch an einem Gamepad gemacht, sondern an der Tastatur. 2008 bekam ich mit rFactor die damals beste (und auch heute noch sehr empfehlenswerte) Rennsimulation in die Hände, mein Laptop war gerade so in der Lage, es aus dem Ladebildschirm auf die Rennstrecke zu schaffen, und ich konnte – es klingt fast absurd, ein Jahrzehnt später – mit den Pfeiltasten einen Formel-1-Wagen über die Nordschleife jagen.
Dass das Lichtjahre von ernst zu nehmendem Sim-Racing entfernt ist, ist mir heute völlig klar. Damals aber war rFactor für mich ein Riesenschritt – weg von den Arcade-Rennspielen auf der Playstation hin zu vollwertigen Simulationen, mit realistischer Fahrzeugphysik, Reifentemperaturen, Spritverbrauch et cetera. Ein Meilenstein für mich. Bald darauf gelang es mir, das PS3-Gamepad am Computer anzuschließen, und mir eröffnete sich eine neue Welt der Fahrzeugkontrolle.
Der nächste – und vorerst letzte – Schritt war schließlich ein erstes, eigenes Lenkrad-Setup. Der Sprung vom Gamepad zum Lenkrad ist noch einmal größer als von der Tastatur zum Gamepad, und er erfordert eine radikale Umstellung vom Spieler, weil plötzlich nicht mehr nur Fingerspitzengefühl gefragt ist, sondern auch Fußgefühl und – bei längeren Rennen und hohen Force-Feedback-Einstellungen – neben der geistigen auch die körperliche Ausdauer.
Kein Wunder also, dass die eSports-Community in zwei Lager gespalten ist: Auf der einen Seite stehen die Verfechter der Gamepad-Kontrolle, auf der anderen die Lenkrad-Fans. Natürlich sind manche Spiele hier anfälliger als andere. Bei iRacing etwa herrscht aufgrund des Simulationsanspruchs keine Debatte über das bevorzugte Steuergerät – am Lenkrad führt hier kein Weg vorbei.
Anders sieht es bei arcadigeren Titeln wie Forza Motorsport aus. Dass es sich bei Forza um keine reinrassige Rennsimulation handelt, steht außer Frage – dafür legt die Serie zu viel Wert auf Einsteigerfreundlichkeit und ein vergleichsweise nachsichtiges Handling-Modell. Trotzdem hat Forza in der Sim-Racing-Community einen nicht zu vernachlässigenden Stellenwert, unter anderem, weil es die Plattform für die offizielle eSport-Meisterschaft der 24 Stunden von Le Mans darstellt.
Bisher kein großes Thema – aber seit dem Sommer 2018 wird heftig über eine ganz wesentliche Entscheidung diskutiert, die (auch im Hinblick auf den eSports-Anspruch) im August gefällt wurde: Die eSports-Meisterschaft zur Le Mans Series verlangt ein Lenkrad. Der Aufschrei in der Gamepad-Gemeinde war groß.
Er war auch nachvollziehbar. Nicht nur in der Handhabung liegen Welten zwischen Controller und Lenkrad – auch in den Anschaffungskosten und im Platzbedarf ist das Lenkrad (zu dem zumindest noch ein Satz Pedale und in vielen Fällen ein spezieller Sessel kommen) eine ganz andere Kategorie als das Gamepad, das sich mal eben in der Schreibtischschublade verstauen lässt und in der Regel nur ein Drittel von dem kostet, was man für ein Einsteigerlenkrad (!) auf den Tisch legt.
Genauso nachvollziehbar wie die Aufregung war aber die Entscheidung selbst. Den Weg bereitet hat – ausgerechnet – die Formel 1. Die offiziellen Spiele zur Weltmeisterschaft aus dem Hause Codemasters sind bei aller Liebe zum Detail bestenfalls Simcade. Ein Großteil der Spieler sind Konsolen-Gamer, die ihren Ferrari, Mercedes oder Red Bull mit dem Gamepad um die Kurven jagen. Beim Finale der offiziellen eSports-Meisterschaft der Formel 1 waren aber ausschließlich Lenkräder zu sehen, die Teilnehmer saßen in professionellen Setups in einer Arena versammelt. Eine verständliche Bemühung, den eSport zu professionalisieren – vor allem, was sein Image angeht.
Über kurz oder lang wird kein Weg daran vorbei führen, dass sämtliche ernst zu nehmenden Sim-Racing-Meisterschaften – vor allem jene, die mit einer realen Motorsport-Veranstaltung in Verbindung stehen – auf hochwertige (oder zumindest hochwertig wirkende) Lenkrad-Setups setzen. Nur so lässt sich für Zuschauer ebenso sehr wie für Teilnehmer eine glaubwürdige Verbindung zwischen dem Geschehen auf der Strecke und dem auf dem Bildschirm herstellen.
Das wird langfristig auch dem Sim-Racing selbst zugute kommen, wenn sich in der allgemeinen Wahrnehmung durchsetzt, dass Sim-Racer eben keine Gamepad-Artisten, sondern „echte“ Rennfahrer sind – kurzfristig wird es aber vor allem zu Aufregung wie jener um Forza Motorsport führen. Und es wird die Sim-Racing-Community noch tiefer spalten – in die Lenkrad-Besitzer und jene, die sich eine solche Anschaffung schlicht nicht leisten können oder wollen. Ob der Sport davon profitiert oder ob aus einer wachsenden Community eine kleine Lenkrad-Elite und eine Gamepad-„Unterschicht“ hervorgeht, steht leider noch in den Sternen.
Ein bisschen in den Sternen steht leider auch, wie ich selber mit meiner Sim-Racing-Karriere weitermache. Ich mache es kurz: Bei mir steht eine tiefgreifende und deshalb ausgesprochen zeitaufwändige berufliche und private Veränderung bevor, verknüpft mit dem Auswandern in ein anderes Land. Mit all den Verpflichtungen und Amtswegen, die mit diesem Schritt einhergehen, war das Zeitbudget für Rennteilnahmen im Februar schlicht nicht vorhanden.
Wer meine virtuelle Karriere mitverfolgt, muss sich leider noch gedulden – ab April werde ich (dann aus der Schweiz, ansonsten aber unverändert) wieder zurück hinter dem Lenkrad sein.
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