Virtual Reality ist auf dem Vormarsch und kein Genre scheint dafür geeigneter als Horror. Und kein Spiel bestätigt dies mehr als Resident Evil 7.
Das Spiel erschien bereits vor über zwölf Monaten und bestimmt hatte auch das hervorragende Videospieljahr 2017 Mitschuld daran, dass Capcoms Horrorjuwel bei ein paar von uns so lange auf dem Pile of Shame liegen blieb. Zum Release der Resident Evil 7 Gold Edition planten wir ein lustiges Video für unseren Youtube-Kanal.
Obwohl ich schon vor vielen Jahren mit dem Horror-Genre abgeschlossen habe, wollte ich allen Mut zusammennehmen und mich der Gruselei stellen. Ich würde ein bisschen vor der Kamera zittern und unsere Seher würden sich über meine Angst köstlich amüsieren. Doch schon die ersten Minuten in Resident Evil 7 änderten unsere Pläne völlig. Dabei waren wir eigentlich auf einiges gefasst.
Die trügerische Idylle von Resident Evil 7
Sein Ruf eilte ihm natürlich auch bis zu uns voraus. So blieb der Puls noch einigermaßen normal, als die vermisste Freundin der Hauptfigur in bester Jumpscare-Manier plötzlich über den gesamten Bildschirm grinst. Sie schickt uns eingangs eine Videobotschaft sowie eine weitere Nachricht, die umgehend klarstellen, dass wir uns nicht auf einen lauen Sommerausflug begeben. Irgendetwas stimmt in Louisiana überhaupt nicht.
Seit Jahren ist sie verschollen und so begehen wir aus Sehnsucht und Neugier die obligatorischen Fehler jeder Horrorgeschichte. Wir begeben uns wider unser Bauchgefühl dorthin, wo es gefährlich wird. In diesem Fall ist das ein verfallenes Haus in einem Sumpf. Was soll hier schon groß passieren?
Virtuelle Erfahrung…
Wir parken das Auto wenige Meter vor dem großen Eisentor des Anwesens. Die VR-Version lässt zum ersten Mal ein bisschen die Muskeln spielen. Ein Mückenschwarm fliegt uns direkt ins Gesicht. Unser Hirn wähnt unsere Hände am Joypad, sodass wir vor den wedelnden Armen des Protagonisten selbst erschrecken.
Die Umgebung wirkt zudem unglaublich real und beklemmend. Die Farbpalette spielt alle Stücke von welken Blättern über wucherndes Gestrüpp bis zu matschigen Wegen. Wenig überraschend reagiert niemand auf unser Klingeln am Gartentor. Wir müssen einen anderen Weg zum Haus finden. Ein paar Meter weiter stellen wir unser Vorhaben erstmals gehörig infrage.
In einer Rückblende erfahren wir, wie der Besuch des Kamerateams verlaufen ist. Siehe auch das Titelbild dieses Beitrags
Der verlassene Van eines Journalistenteams steht als Wrack am Wegesrand. Nur ein zurückgelassenes Stativ lehnt an der Motorhaube. Was mit der Kameracrew passiert ist, wollen wir eigentlich gar nicht wissen (Wir erfahren es dennoch in einer späteren Rückblende. Allen geht es gut … you wish). Von dort führt ein schlammiger Trampelpfad um das Haus herum.
…aber echte Angst!
Sofort werden Erinnerungen an Silent Hill 2 wach. Der lange Weg durch einen nebligen Wald am Beginn des Klassikers gilt bis heute als Referenz für durch Atmosphäre erzeugte Angst. Resident Evil 7 braucht den Vergleich nicht zu scheuen. Weiterzugehen kostet bereits ein wenig Überwindung. Als in einiger Entfernung plötzlich ein Mann auftaucht und wortlos Richtung Haus verschwindet, rechnet alles in mir mit einem baldigen Jumpscare. Außerdem versperrt ein Mobile aus abgetrennten Tierschenkeln den Weg. Noch sind wir im Freien und es kann doch nicht viel passieren, denke ich mir und setze meinen Weg fort.
Echter Parmaschinken wäre uns eindeutig lieber gewesen
Wir erreichen die hintere Terrasse des Hauses. Davor ein rauchender verkohlter Haufen, in dem eine Handtasche mit dem Ausweis unserer Freundin liegt. Wirklich jeder Funken Verstand in mir schreit: “Lauf weg und komm mit hundert Polizisten wieder!” Doch die Neugier und das Bisschen Hoffnung, dass meinem Mädchen doch nichts zugestoßen ist und ich sie nur abholen muss, treibt mich weiter. Weiter ins Haus.
Selten habe ich so gezögert, wie an der Schwelle zu diesem Gebäude. An dieser Stelle setzen Vorwissen und Erfahrung eine weitere Ladung Panik in meinem Kopf frei. Nichts, aber auch gar nichts, wird ab diesem Moment mehr angenehm sein oder gar Spaß machen. Hinter der Tür wartet das Grauen. Aber es lässt noch auf sich warten.
Langes Vorspiel
Capcom ist noch nicht fertig damit, das Unwohlsein in mir zu steigern. Der erste Raum zeigt die Detailverliebtheit, die Resident Evil 7 von einem sehr guten zu einem grandiosen Horrorspiel macht. Vergammeltes Essen samt sich windender Maden steht auf der Küchenzeile. Auf dem Esstisch steht noch ein alter Kochtopf, aus dem Kakerlaken über unseren Arm krabbeln. Abermals erschrecken wir vor unserer eigenen Hand.
Boden, Wände und Decke sind verfallen. Nichts rührt sich, kein Geräusch ist im ganzen Haus zu hören. Nur diffuses Licht dringt durch die Fenster. Nur ein weiteres Zimmer steht offen. Die anderen Türen sind versperrt. Bei jedem Schritt rechne ich mit dem klassischen Jumpscare von hinten, wohlwissend, dass alle Vorahnung mir nichts helfen wird. Doch nichts passiert. Trotzdem schreit alles in mir: “Ich will hier weg!” Ich spiele weiter.
Lichtstimmung und viele kleine Details tragen maßgeblich zur schaurigen Atmosphäre in Resident Evil 7 bei
Schock-Orgasmus
Jetzt überschlagen sich die Ereignisse und aus Ehrfurcht vor dem Erlebten werden wir die folgenden Spielmomente nicht spoilern. Binnen weniger Minuten schlägt das Spiel von atmosphärischem Horror in Horror-Action um. Das Ganze aus der Ego-Perspektive zu sehen, wäre schlimm genug. Das Leid, den Schmerz und die Hilflosigkeit des Protagonisten durch eine VR-Brille zu erleben, die praktisch sämtliche immersionshemmende äußere Faktoren ausblendet, ist wirklich starker Tobak. Das sollte, ja muss man selbst erleben oder als zartbesaitete Natur tunlichst meiden.
An dieser Stelle würden manche einen erneuten Einstiegspunkt zur Gewaltfrage in Videospielen sehen. Bereits in Wolfenstein 2 war die aus der Ego-Perspektive erlebte Gewalt heftig, auch aufgrund der mangelhaften Kontextualisierung. Resident Evil 7 ist auf der abstrakten Ebene sogar noch brutaler, noch schockierender. Allerdings fehlt hier die Verbindung zur Realität. Das Erlebte bleibt trotz VR und Louisiana-Setting zu fiktional und stellt auch keinen Anspruch, in irgendeiner Weise gesellschaftskritisch sein zu wollen. Es geht ausschließlich um einen fiktiven Horrortrip und den damit verbundenen Nervenkitzel.
Nach den ersten actionreichen Momenten wirkt die Rückkehr zum atmosphärischen Fürchten beinahe wie Erholung. Aber auch die hält nicht ewig. Familie Baker – die Bewohner des Hauses – hat uns liebgewonnen und wir den unwiderstehlichen Nervenkitzel ebenfalls. Wer so wie wir noch einen Pile of Shame abzuarbeiten hat, sollte schleunigst mit diesem Titel beginnen. Die VR-Erfahrung zählt zweifelsohne zu den beeindruckendsten, die derzeit zu haben sind.
Unsere ursprüngliche Video-Idee hätte die Raffinesse, mit der in Resident Evil 7 Angst und Schrecken erzeugt wird, niemals abbilden können. Es wäre dem Spiel und seinen Schöpfern gegenüber auch nicht fair gewesen, den Fokus vom Spielgeschehen auf den ängstlichen Redakteur zu verschieben. Auch dieser Text mag freilich nur in Ansätzen abbilden, was wir mit immer schockverzerrteren Gesichtern an diesem Tag erlebt haben. Capcom hat die Messlatte verdammt hoch gelegt und wir sind gespannt, wer der erste ernstzunehmende Konkurrent für Resident Evil 7 VR wird.
Bilder © Capcom
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