Megaspiele – Was sie für Journalisten bedeuten

Kann der Spielejournalismus noch mit Megaspielen wie Red Dead Redemption 2 mithalten? Was Games-as-a-Service und Mammutprojekte für die Berichterstattung bedeuten. Von Clemens Istel

Zwei Discs braucht Red Dead Redemption 2. Ganze 51 Gigabyte misst der Day-One-Patch für Fallout 76. Das ewige Wachstum als unumstößliches Mantra des Kapitalismus macht auch vor seinen Produkten nicht halt. Das führt zu diversen Herausforderungen.

Der wachsende Umfang unserer liebsten Unterhaltungsmedien hat Folgen für die Wirtschaft, das Spielerlebnis und die Arbeit von Journalisten. Deshalb möchten wir uns in dieser Serie von Artikeln mit dem Thema Megaspiele beschäftigen. Wir wagen eine Einschätzung und lassen euch zu Beginn hinter die Kulissen unseres Berufs blicken.

Bisherige Themen
Die Durchspielrate großer Spiele

Wie reviewen wir Spiele?

Jeder Videospieljournalist steht vor der Frage, was sein Text für einen Zweck erfüllen soll. Eine Review könnte einerseits darauf fokussieren, das Spiel als Kunstwerk zu kritisieren. In der Regel erwarten Leser aber oft auch eine Hilfe beim Kaufentscheid. Wie steht es mit der technischen Umsetzung der Software?

Diese drei Aspekte stellen jeden Content Creator, vom Journalisten bis zum YouTuber, vor offensichtlich steigende Herausforderungen, sobald der Umfang eines Spiels zunimmt. Bei Screaming Pixel wollen wir einen möglichst vollständigen Eindruck vom Spiel gewinnen und diesen in Kontext eingebettet an unsere Leser weitergeben. Auch deshalb haben wir uns bewusst gegen nichtssagende Zahlen- oder Prozentwertungen ausgesprochen. Sie werden der Komplexität des Mediums Videospiel einfach nicht gerecht.

Bei journalistischer Arbeit gibt es keine Fast-Travel-Option

Bei journalistischer Arbeit gibt es keine Fast-Travel-Option

Das bedeutet schon allein zeitlich einen enormen Aufwand, wenn Spiele wie Red Dead Redemption 2 noch dazu Systeme und Designentscheidungen beinhalten, die bewusst auf die Bremse steigen. Schließlich will jeder pflichtbewusste Redakteur erst ein Urteil fällen, wenn er einen ausreichenden Gesamteindruck vom Spiel hat.

Wie lange das dauert, mögen manche Kollegen für sich unterschiedlich definieren. In den jüngsten Blockbustern wie Assassin’s Creed Odyssey dauert aber der Prolog bereits zwei bis drei Stunden. Das eingebettete Tutorial verfolgt uns auch in anderen Games nicht selten durch das halbe Spiel und stellt immer wieder neue Features vor.

Zeitfaktor

Was also tun, wenn ein entscheidendes Detail erst nach vielen Stunden auftaucht oder erkennbar wird? Die Antwort scheint einfach. So etwas wie ein schneller Ersteindruck ist bei derartigen Spielen kaum noch aussagekräftig. Dabei handelt es sich noch nicht einmal um ein neues Problem.

In der Vergangenheit versteckten Spiele das wahre Ende der Story beispielsweise schon hinter Paid-DLC. Die Hauptstory durchzuspielen ist somit eigentlich Pflicht für jeden Kritiker. Auch ein vollständiges Narrativ kann in seiner Qualität unter Umständen stark nachlassen. Assassin’s Creed Odyssey dauert nach howlongtobeat.com selbst bei allergrößter Eile über 25 Stunden. Zeit für Notizen oder einen Eindruck von World Building ist da noch nicht mitkalkuliert.


Rechnen wir nun auch noch ein, dass jemand den Artikel schreiben, redigieren und Bildmaterial dazu erstellen muss, nähern wir uns bereits einer 40-Stundenwoche. Für eine einzige umfassende Rezension. Die Kosten für die Arbeitszeit muss der Artikel erst einmal wieder einspielen. Aber selbst wenn unzählige Leser auf Werbebanner oder unsere Affiliate-Links klicken, ist damit nur das geringste Problem beschrieben.

Erschwerende Faktoren

Sollte die verfasste Rezension das Spiel ausführlich und angemessen als Kunstobjekt behandeln, mag das immer noch ein interessanter Text sein. Als unterstützende Information bei etwaigem Kaufinteresse kommt er aber ziemlich sicher zu spät. Möchten wir einem Kunden beistehen, geraten wir unweigerlich in zwei Konfliktebenen.

Zum einen muss ein Journalist abwägen, wieviel er in diesem Fall mutwillig vom Spiel ignoriert, um rechtzeitig eine valide Unterstützung zu bieten. Essentiell dafür ist aber bereits, wie schnell wir eine Rezensionsmöglichkeit beschaffen können. Mitunter erhalten Vorbesteller früher einen Zugang zu den sogenannten Open Betas als Medienvertreter.

In den allermeisten Fällen weiß die Marketingabteilung hinter einem Spiel ganz genau, wie flexibel und schnell Medien sein können. Deshalb sehen sich Journalisten mit den unterschiedlichsten Ausformungen von Message Control konfrontiert. Manche Publisher vergeben Rezensionsexemplare erst kurz vor Release, nur unter gewissen Auflagen oder überhaupt nicht.

Andere wiederum schließen exklusive Deals mit Medienpartnern, die dann zwar früh berichten, aber im Endeffekt auch nur das wiederkäuen, was von den Publishern erlaubt oder kurz zuvor ohnehin in einer Pressemeldung veröffentlicht wurde.

Journalisten müssen oft tief graben, um Megaspiele ausreichend zu testen

Journalisten müssen oft tief graben, um Megaspiele ausreichend zu testen

In Zeiten unreflektierter Hypekultur, wie sie im Rahmen von Red Dead Redemption 2 mehr als deutlich wurde, nehmen Medien lange vor den ersten Gameplay-Szenen Begriffe wie “Bestes Spiel aller Zeiten” in den Mund und verleiten damit nur noch weiter zu Vorbestellungen. Im besten Fall ist ein Spiel dann trotzdem sehr gut. Auch Red Dead Redemption 2 war aber wenig überraschend nicht das fehlerfreie Juwel, das uns der Hype verkaufen wollte.

Games as a Service

Journalisten konkurrieren also mit grundsätzlichem Zeitdruck und den Marketingkampagnen der Publisher. Fairerweise sei an dieser Stelle erwähnt, dass viele Spielehersteller, mit denen auch wir in Kontakt sind, ein gutes Verhältnis zu Medien pflegen. Am Ende des Tages hilft schließlich jederlei Kritik dabei, Produkte in Zukunft noch besser zu machen.

Ein aktueller Trend stellt unsere Berufsgruppe aber vor weitaus größere Probleme. Games as a Service soll der Weg werden, um Spieler langfristig an ein Spiel zu binden. Dabei wird nicht länger einfach nur ein Spiel veröffentlicht, sondern dieses über lange Zeit immer wieder mit Content Updates versorgt. Die bekannteste Ausprägung davon ist der Season Pass.

Spiele werden also künftig auch mit Content beworben, der zum Release der Grundfassung noch lange nicht fertig ist. Journalisten sind in so einem Fall die Hände gebunden. Besonders knifflig wird die Situation, wenn der Hersteller des zusätzlichen Content vorzeitig seine Pforten schließt.

Das war etwa bei der finalen Staffel von Telltale’s The Walking Dead oder den geplanten Erweiterungen zu Final Fantasy XV der Fall. Deshalb können wir aus Konsumentensicht eigentlich nur eindringlich vor diesem neuen Geschäftsmodell warnen. Erfolgreiche Ersatzpläne haben beide Firmen bisher nicht.

Was tun als Konsument?

Heißt das, wir dürfen nie wieder Spiele am Releasetag kaufen? Mitnichten. Ob Red Dead Redemption 2 oder Assassin’s Creed Odyssey. In beiden Fällen konnte man – ausgehend von der Geschichte der Studios – bis zu einem gewissen Grad davon ausgehen, ein hochwertiges Produkt zu erhalten. Eine gewisse Skepsis im Umgang mit Werbung und überschwänglicher Vorfreude bleibt aber immer angebracht.

Wir werden weiter alles daran setzen, so schnell und gleichzeitig umfangreich wie möglich über Spiele zu berichten. Bei den zunehmenden Dimensionen der Games dauert das aber mitunter etwas länger. Wenn euch in einem Internetforum also wieder jemand weismachen will, es gäbe bei den Marketingbotschaften schon Wochen vor Release nichts mehr zu hinterfragen, atmet durch und wartet ab. Geduld zahlt sich aus.


Bilder © Ubisoft & Rockstar Games

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!

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