Die Darstellung von Native Americans in Red Dead Redemption 2 bleibt zumeist seicht. Doch an einigen Punkten trifft sie den Kern. Von Clemens Istel
Taugt Red Dead Redemption 2 als historische Abhandlung und gesellschaftliche Kritik dieser Zeit? Schon den vergangenen Grand Theft Auto-Spielen wird immer wieder Gesellschaftskritik attestiert. Im Hinblick auf Nordamerikas Ureinwohner trifft Rockstar Games einige wichtige Aspekte gut, bleibt wie bei seinen anderen Werken aber erneut weitestgehend oberflächlich und klischeebehaftet.
Fairerweise sei erwähnt, dass Red Dead Redemption 2 nicht den Anspruch stellt, eine umfassende und historisch akkurate Darstellung zu bieten. Typisch für Spiele aus dem Hause Rockstar sind aber die realitätsinspirierten Elemente, die mal mehr, mal weniger auf kritikwürdige Ereignisse der Zeitgeschichte eingehen.
Probleme bei der Darstellung
Warum die Geschichte auch überhaupt nicht präzise abgebildet werden kann, offenbart schon die Spielwelt selbst. Wo spielt Red Dead Redemption 2 überhaupt? Im Prinzip hat Rockstar Games den südwestlichen Teil der USA herausgeschnitten und in kleinerem Maßstab als Gesamtwelt übernommen. Daraus ergeben sich logischerweise starke Brüche in der Landschaft und ein grundsätzliches Problem bei der Darstellung der Geschichte dieser Gegend.
Im realen Leben liegen zwischen New Orleans und der mexikanischen Grenze rund 1000 Kilometer. Ingame überwinden wir die Distanz zwischen deren Äquivalenten in wenigen Minuten. Wie die Encyclopedia Britannica zeigt, unterscheiden sich die Geschichten der mitunter weit auseinander lebenden Stämmen der Native Americans in diesen Gegenden aber sehr stark.
Nordwestlich, also großteils auch jenem Teil Nordamerikas, den Red Dead Redemption 2 nicht übernommen hat, kam es beispielsweise zu Hochzeiten zwischen russischen Eroberern und den Einheimischen. Im Bereich Kaliforniens kolonisierten die Spanier ohne Rücksicht auf Verluste. Im Gegensatz zu den Niederländern verboten sie unter anderem jederlei Waffenhandel mit den Native Americans.
Was bleibt, ist “der Indianer”
In vielen Western-Filmen ist die Darstellung von Native Americans ein Einheitsbrei, der sich stets jene Elemente der Geschichte herauspickt, die gerade zur Dramaturgie passen. Red Dead Redemption 2 ist dabei keine Ausnahme. Allerdings berücksichtigt das Spiel einige gemeinsame Eigenschaften und geschichtliche Umstände der Stämme und räumt diesen auch einen prominenten Platz ein.
Wieviele Filme mit dieser Szene kennt ihr?
Unser erster Kontakt haut zunächst noch mit der Klischeekeule um sich. Während wir mit der Van der Linde-Bande zum ersten Mal nach dem Prolog das Lager wechseln, tauchen an einer Klippe über uns ein paar schmucke Reiter auf, die scheinbar immer noch stolz über ihr Land wachen. Ein Bild, das wir so in unzähligen Western-Streifen gesehen haben.
Durch Gespräche mit einigen Bandenmitglieder erfahren wir nach und nach mehr über die Situation der Native Americans. Wir, damit meint unser Gesprächspartner die europäischen Eroberer, hätten ihnen ganz übel mitgespielt und sie in Bezug auf Ländereien über den Tisch gezogen. Das Spiel gesteht also sehr früh die Gräueltaten der Kolonisation ein.
Im realen Jahr 1787 wurde in den sogenannten Northwest Ordiances zum ersten Mal die Unantastbarkeit von Ehre und Besitztümern der Ureinwohner Amerikas festgeschrieben. Einige Jahrzehnte und Entscheidungen des Supreme Court später waren diese Zugeständnisse erfolgreich untergraben und die Native Americans ihre Ländereien dennoch los. Im Zuge des 1830 beschlossenen Indian Removal Act kam es zu Deportationen und massiven Umsiedlungen.
Aus den Niederungen und weiten Tälern wurden Native Americans vertrieben
Isolation statt Prärie
Im Norden der Karte von Red Dead Redemption 2 finden wir repräsentativ für die Folgen dieser Zeit ein winziges Indianerreservat. Vor den wenigen Tipis und Hütten stehen, sitzen und arbeiten gebrochene Menschen. Das ganze Areal trieft vor Melancholie. Die Hauptfigur grüßt fröhlich und lautstark. Als Antwort kommen Sätze wie “What do you want from us?” oder “You don’t have a place here!” in leicht feindseliger aber resignierender Stimmlage.
Zogen sie einst noch in Einklang mit der Natur durch die unendlichen Weiten des Landes, hat man sie nun in diesen winzigen Raum in den Bergen verbannt. Nur wenige haben sich mit der neuen Zivilisation arrangiert. Rockstar Games richtet ganz bewusst einen Licht auf dieses Elend und zwingt uns, uns langsam durch das Reservat zu bewegen.
Spiritualität und Naturverbundenheit spielen zentrale Rollen in der Kultur von Native Americans
In Symbiose mit der Natur
Auch in einzelnen Missionen scheinen die Lebensweisen der Native Americans durch. Bandenmitglied Charles ist indianischer Abstammung und nimmt uns eines Nachmittags mit in die Prärie, um rücksichtslosen Bisonmördern das Handwerk zu legen. Neben dem Pelzhandel war für amerikanische Ureinwohner nicht zuletzt die Bisonjagd elementare Lebensgrundlage.
Sie respektieren die Natur und Töten zum Spaß stellt einen Affront dar. Ganz besonders, wenn sich die Mordlust auch noch auf Bisons konzentriert. Diese tiefe Verbundenheit zu Fauna und Flora zeigt sich während dem Spiel noch an anderer Stelle, als Charles etwa sein Wissen über giftige Pflanzen mit uns teilt.
Als er daraus Giftpfeile herstellt, schwingt dabei aber auch wieder ein gängiges Narrativ aus Filmen mit, wonach Indianer schlau aber hinterhältig sind. Red Dead Redemption 2 bemüht sich nach Kräften, die relevanten Themen der Zeit abzubilden, erreicht dabei aber nicht den Detailgrad des Gameplays selbst. Zudem konterkarieren sich Kritik, Narrativ und Darstellung ein ums andere Mal.
Zudem wirken einige Elemente wie aufgesetzt. In einer Nebenmission sollen wir beispielsweise Felszeichnungen finden, die auf der ganzen Karte verteilt sind. Eine weitere Sammelaufgabe schickt uns auf die Suche nach Traumfängern. Besonders geschickte Erkunder können auch eine indianische Begräbnisstätte entdecken. All diese Dinge repräsentieren die Kultur der Native Americans zwar mehr oder weniger, existieren aber einfach nur um ihrer selbst willen, ohne sich weiter zu erklären.
Während andere Spiele zentrale Probleme gewisser Epochen gänzlich ignorieren, was beispielsweise zu harter Kritik an Anno 1800 geführt hat, versucht Rockstars Westernepos wenigstens, gewisse Themen anzusprechen. Einen Preis für die beste digitale Geschichtskritik wird es aber nicht gewinnen.
Schon das Ehrensystem, das ansonsten so viele unserer Taten bewertet, schweigt zur Interaktion mit den heiligen Stätten der Native Americans. Interaktion geschieht ohnehin nur per Knopfdruck. Auf rituellen Steinkreisen oder Bisonleichen herumzutrampeln bleibt konsequenzenlos. Auch an anderer Stelle ist das Ehrenbarometer inkonsistent.
Ob aufgrund letztlich zu hoher Ambitionen oder Fahrlässigkeit, Rockstar Games verschenkt potenzielle Erzähltiefe. Selbst wenn Red Dead Redemption 2 den Anspruch einer umfassenden Gesellschaftskritik nie gestellt hat, lässt es die Spielerinnen und Spieler leider nur oberflächlich an den Problemen der Epoche teilhaben.
Bilder © Rockstar Games
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