Mit den Klagen gegen ROM-Seiten rückt das Thema Game-Preservation in den Mittelpunkt. Dafür gibt es aber nur eine legale Lösung. Von Florian Born.
Nintendos Feldzug gegen Emulationen sollte uns zwei Dinge gelehrt haben. Erstens: Das familienfreundliche Unternehmen mit dem Klempner und Affen spielt nicht herum, wenn es um ihr Urheberrecht geht. Zweitens: Videospiele sind in Gefahr. Aber lasst mich am Anfang beginnen. Was ist überhaupt passiert und wieso sind Games bedroht?
Nintendo gegen Emulationen
Im Juli dieses Jahres ist Torrentfreak auf eine Klage von Nintendo of America gestoßen. Nach der will das Unternehmen zwei der größten Websites für ROMs und Emulatoren verklagen: LoveROMs und LoveRETRO. Beide laufen übrigens angeblich unter Jacob Mathias und dessen Firma Mathias Designs LLC. Und wurden vom Netz genommen. Grund der Klage:
Nintendo has been and continues to be damaged by defendants‘ wrongful acts (…) Defendants‘ acts have damaged, and threaten to continue to damage, Nintendo’s reputation and goodwill.
Mathias Designs LLC schadet Nintendo finanziell und auch in ihrem Ansehen durch das kostenlose zur Verfügung Stellen von alten Games. Oder kurz: Er ist ein Software-Pirat. Und das mag Nintendo nicht. Deswegen verklagen sie ihn um einen Geldwert, den Torrentfreak auf über 100 Millionen US-Dollar schätzt.
Nintendo gegen die Vergangenheit?
So weit so gerechtfertigt. Nintendo hat ja – rein juristisch gesehen – jedes Recht dazu seine Spiele zu verteidigen. Allerdings bringen sie damit einen Stein ins Rollen. Andere kostenlose Emulations-Seiten haben sich aus Angst vor einer Klage nun selbst aus dem Markt der ROMs zurückgezogen. Mitunter Platzhirsch Emuparadise. Und die Konsequenzen daraus sind größer, als man denkt.
Durch den Rückzug der ROMs verschwinden einige Spiele aus dem Zugriff der Öffentlichkeit. Die bekommt man anders auch nicht mehr, weil die Firmen, die ursprünglich das Copyright besaßen, nicht mehr existieren oder auch weil mehrere Firmen gleichzeitig die Rechte dafür haben.
Das hat nun die Debatte losgetreten, die eigentlich Thema dieses Artikels sein soll: Game Preservation. Wie können wir sicherstellen, dass die Werke von Künstlerinnen und Künstlern aus der Vergangenheit und der Gegenwart auch in Zukunft noch erhalten und zugänglich bleiben? Auch dann, wenn die Plattformen, auf denen sie einst gespielt wurden, schon längst Staub in den Regalen der Sammler ansetzen und wenn die Unternehmen, die die Rechte dafür haben, untergegangen sind.
Bisher oblag diese Aufgabe den ROM-Seiten. Auch wenn es wahrscheinlich nicht ihre Intention war. Es war zwar nicht besonders legal, aber tatsächlich war es mitunter die einzige Möglichkeit, alte Games zu spielen. Mit dem Feldzug der Publisher gegen diese Seiten wird das erschwert und mitunter in den virenverseuchten Torrent-Sumpf zurückgedrängt.
Eine Lösung muss her
Schauen wir uns die aktuelle Situation an, so gibt es drei Akteure, die diese Aufgabe der Präservation übernehmen könnten: Die Publisher, die User und die Politik. Nur letzterer hat aber realistische Chancen darauf es erfolgreich umzusetzen. Warum?
Die Publisher haben bewiesen, das sie kein Interesse daran haben, ein Spiel zu erhalten, wenn es ihnen in Zukunft kein Geld einbringen wird. Deshalb werden z.B. bei Online-Games alte Versionen oder ganze Spiele abgedreht.
Bei den Usern wäre zwar das Interesse für den Erhalt vorhanden, jedoch fehlen ihnen die Macht und die rechtliche Handhabe, es auch wirklich umzusetzen. Das sieht man bei dem aktuellen Fall mit den ROM-Seiten. Aber auch andernorts. Warum zum Beispiel kann man im Computerspielemuseum in Berlin keine aktuelleren Games als Pac-Man spielen?
Natürlich könnten sich User und Medien zusammenschließen und eine NGO gründen, die sich dem Erhalt von Videospielen widmet. Dennoch würde auch der die Macht fehlen, um sich wirklich gegen die Publisher durchzusetzen.
Hoffnung Politik?
Der einzige Player, der realistisch die Macht und das Interesse dazu hat, Videospiele historisch zu erhalten, ist die Politik. Nicht jedoch die nationale Politik, sondern die internationale. Konkret: die UNESCO.
Die Sache mit der Macht ist schnell erklärt. Sie ist Teil der UNO und hat damit beinahe sämtliche Nationen der Welt in ihrem Rücken. Ihr Einfluss wird also nicht durch Grenzen beschränkt. Außerdem ist sie zum Beispiel auch recht erfolgreich, Stadtkerne rund um den Globus unter ihren Schutz zu stellen.
Das Interesse der UNESCO erfordert ein wenig Deutungsfreiheit. Schauen wir uns dazu die Statuten der Organisation an. Genauer den Teil zum Aufgabenbereich:
durch Erhaltung und Schutz des Welterbes an Büchern, Kunstwerken und Denkmälern der Geschichte und Wissenschaft sowie durch Empfehlung der dazu erforderlichen internationalen Vereinbarungen an die jeweils betroffenen Staaten
Da: “Kunstwerken”. Hier könnte man natürlich wieder die alte Debatte rund um Videospiele und Kunst aufbringen, aber eigentlich hat das die USK zumindest für den DACH-Raum schon 2014 erledigt:
Computerspiele sind ein selbstverständlicher Teil unserer Alltagskultur und finden auch unter künstlerischem Aspekt Beachtung. Technisch Machbares und ästhetischer Ausdruck können sich in einer Art und Weise verbinden, dass Spiele Merkmale einer Kunstform in der zeitgenössischen Unterhaltung erhalten.
Rein nach dieser Logik muss sich die UNESCO also der Debatte annehmen. Es geht auch immerhin um den Erhalt von einem Stück Kultur und Geschichte. Und einem großen Stück sogar, wenn man sich die Umsätze der Branche ansieht. 30,6 Mrd. Dollar waren es 2016 allein in den USA.
Aber wie?
Alles schön und gut, aber wie kann so eine Präservation funktionieren? Eigentlich ganz simpel. Wir haben sogar schon ein System, das das ganz gut demonstriert: Belegexemplare an Bibliotheken.
Wird in Österreich ein Buch verlegt, muss der Verleger mehrere Exemplare an bestimmte Bibliotheken verschicken. Konkret an die Nationalbibliothek, die Landesbibliothek und die jeweilige Universitätsbibliothek des Bundeslandes. Diese Bücher stehen jederzeit zum Verleih oder zumindest zur Lektüre vor Ort zur Verfügung.
Genau das Gleiche sollte die UNESCO auch für Games umsetzen. Jeder Publisher müsste dazu verpflichtet werden, “Belegexemplare” sämtlicher Spiele, Patches und DLCs an jenes Archiv zu senden. Dort würden die Games für die Zukunft erhalten bleiben und wären natürlich auch für die Öffentlichkeit zugänglich.
Im besten Fall bräuchte man dementsprechend mehrere Standorte dieser Archive/Spielotheken, damit auch wirklich alle Zugang dazu bekommen können. Im digitalen Zeitalter sollte das allerdings nicht das Problem sein. Und selbstverständlich könnte man die Spiele dann auch nur “im Katalog” spielen und nicht mit nach Hause nehmen. Illegales Vervielfältigen müsste entsprechend natürlich unter Strafe gestellt werden.
Und falls die großen Tiere von EA, Ubisoft, Sony, Nintendo und Konsorten nun schon unruhig in ihren Sitzen hin und herrutschen, weil dann ja niemand mehr Spiele kaufen wird: Ich rufe in Erinnerung, dass wir trotz Büchereien immer noch genug Buchhandlungen haben. Aber es gibt trotzdem immer Exemplare, die an sicheren Orten verbleiben.
Und so etwas brauchen wir auch für die Videospiel-Industrie. Und sei es nur, damit diese Aufgabe in Zukunft nicht bei Emulatoren-Seiten hängen bleibt und damit kriminalisiert wird.
Titelbild © Nintendo & UNESCO
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