Old Man’s Journey überzeugt ganz ohne Worte

Old Man’s Journey erzählt eine berührende Geschichte mit wunderbaren Bildern. Und dabei verwendet der Indie-Titel von Broken Rules kein einziges Wort Text.

Dass Worte eine gewisse Magie in sicht tragen, kann niemand verleugnen. Dennoch können sie gleichzeitig eine Barriere darstellen. Was ist, wenn jemand die Worte einer Sprache nicht versteht? Oder wenn jemand nicht lesen kann? Die Geschichte wird ihm oder ihr verborgen bleiben.

Mit diesem Zugang ist das Studio Broken Rules an den vielgelobten Indie-Titel Old Man’s Journey herangegangen: “Wir wollten das Spiel von Anfang an so zugänglich wie möglich gestalten und Sprachbarrieren möglichst umgehen”, erklärt Clemens Scott von Broken Rules. “Unser Ziel war es, Old Man’s Journey für Menschen unterschiedlichster Kulturen, Bildungsniveaus und Fähigkeiten gleich erfahrbar zu machen.”

Eine Geschichte ohne Worte

Dass Old Man’s Journey zur Gänze ohne Worte auskommt, tut seiner Geschichte keinen Abbruch. Ganz im Gegensatz zu dem eingangs geführten Argument. Die Story um einen alten Mann der eine Reise antritt – wer hätte gedacht, dass es darum gehen könnte (?!) – berührt ganz ohne das geschriebene Wort.

Hoch am Kliff beginnt die Geschichte des alten Mannes.

Kurz umrissen: Der namenlose alte Mann erhält am Anfang der Geschichte einen Brief und macht sich dann sogleich auf seine Reise. Dabei wird in Rückblenden die Geschichte seines Lebens erzählt. Ohne je auch nur einen Namen zu nennen, erfahren wir, wie er seine Frau kennenlernt, wie sie sich verlieben und so weiter.

In Rückblenden erfahren wir seine Geschichte.

Der Plot berührt in seiner Schlichtheit und Nachvollziehbarkeit. Logisch irgendwo, ist er doch aus der Realität inspiriert: “Alle Mitbegründer von Broken Rules sind in den letzten Jahren (teilweise mehrfache) Väter geworden. Die Herausforderung, eine Balance zwischen unseren Familien und unserem individuellen Verwirklichung zu finden, ist ein Thema, dass wir alle gemeinsam haben. Der Alte Mann auf seiner Reise hat uns einen Rahmen geboten, um uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen.”

Familie bietet Perspektive

Doch nicht nur diese Einfachheit und der Bezug zur Realität bestechen in Old Man’s Journey. Das Spiel nutzt ein bisher nicht bekanntes Spiel aus Perspektiven, um den Weg des alten Mannes über die hügelige Landschaft Frankreichs – vermutlich – zu ermöglichen.

Die Hügel in Old Man’s Journey lassen sich verschieben.

Wenn sich zwei Hügel auf dem Bildschirm berühren, kann er vom einen zum anderen springen. Praktischerweise kann man die Hügel als Spieler bewegen und ihn damit langsam aber sicher von A nach B bewegen. Die Steuerung funktioniert gut und mit ein wenig Nachjustieren schafft man das letzten Endes immer. Wirklich knifflig sind die Rätsel, die Broken Rules uns da aufgibt, nämlich nicht.

Framable

Ergo beträgt die Spieldauer auch nicht einmal 3 Stunden. Die haben es aber in sich. Vor allem der Look des Spiels ist so bezaubernd, dass das Verlangen aufkommt, am liebsten alle 42 Sekunden einen Screenshot zu machen und damit dann die ganze Wohnung zu tapezieren.

Buchstäblich alles im Spiel ist mit Herz und einer Liebe zum Detail gestaltet, die man bei den meisten größeren Titeln schwerlich vermisst. Laut Scott habe es auch mehrere Monate gebraucht, bis man diesen Look so eingefangen hatte, wie man ihn wollte.

Wir hätten ja doch gern ein Bild von dieser Katze. Und die Katze selbst.

Vor allem die Kleinigkeiten des Spiels machen es aus. So zum Beispiel ein Moment, wenn der alte Mann sich neben eine Katze setzt und zurückdenkt an seine Familie, oder wenn er ein offenbar frisch verliebtes Pärchen trifft. Aber auch beim Wind, der in den Bäumen spielt und die Schafe, die manches Mal den Weg blockieren und geschickt vom Spieler weg gelotst werden wollen, zucken die Finger immer wieder zur Screenshot-Taste.

Smartphone im Zentrum

Bei all dem Lob ist es kaum zu glauben, dass Old Man’s Journey in erster Linie für Smartphones entwickelt wurde. Dem schlechten Ruf der Plattform wird das Spiel aber in keinster Weise gerecht. Vor allem, da es keine der berüchtigten Micro-Payments gibt, die man bei Smartphone-Spielen stets hinter der nächsten Ecke erwartet.

Der Grund für die Auswahl der Plattform geht wieder auf die Zugänglichkeit zurück: “Die Zugänglichkeit war wieder ein wichtiger Faktor. Die Interaktion sollte so einfach wie möglich gehalten werden, als eine einzige Berührung des Bildschirms, um mit der Welt zu interagieren.”

Woran Broken Rules sich als nächstes macht ist noch unklar. Bis dahin kann man aber ruhig nochmal Old Man’s Journey spielen und dabei wortlos glücklich sein.


Bildmaterial: © Broken Rules

Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!