RAGE 2 – Ruhe muss sein

RAGE 2 ist geballte Action mit ein paar Gebrechen. Trotzdem kann Bethesda aufatmen. Von Clemens Istel

Es ist einer dieser Tage: Schlecht geschlafen, anstrengendes Berufsleben und der Haushalt will auch erledigt werden. Erstmal abschalten. Wie es der Zufall will, flattert uns exakt an so einem Tag ungefragt ein Reviewcode für RAGE 2 ins Redaktionspostfach.

Also Kopf aus, Playstation an und ab in die Schlacht. Denn genau so funktioniert RAGE 2 am besten. Auf uns wartet der übliche Endzeitmix aus Mutanten, Banditen, Ödland und einer bösewichtigen Obrigkeit, die nach der Weltherrschaft greift. Letztere heißt im Spiel tatsächlich so.

Die Geschichte ist genauso simpel, wie man es vermuten würde. Bösewichte machen nazimäßig auf unterdrückt und “Uns gehört diese Welt”. Bösewichte legen ganze Stadt in Schutt und Asche. Bösewichte töten alle Elitesoldaten der Guten und eine uns nahestehende Person. Wir überleben, beginnen unseren Rachefeldzug und sollen die Welt von der Obrigkeit befreien.

RAGE 2 ist voll von Mad Max Feeling.

RAGE 2 ist voll von Mad Max Feeling.

Dabei kommen einem diverse Vergleiche in den Sinn. RAGE 2 ist wie DOOM, durchsetzt mit sehr viel Rollenspiel und in einer Open World. Ein bisschen wie Borderlands, aber ohne Loot und mit noch abgedrehterem Humor. Ganz klar ähnlich wie Mad Max, aber viel bunter. Heftige Splatteraction und intensive Kämpfe wie aus Bulletstorm, aber mit mehr Zeit zum Durchschnaufen.
Bethesda wird es nach den vielen Sorgen der vergangenen Monate freuen, wenn ich als Fazit vorwegnehmen darf, dass hier trotzdem endlich wieder mal ein unterhaltsames Spiel positive Presse bringt. RAGE 2 macht Spaß, gibt aber trotzdem Anlass zur Kritik. In jedem Fall werden wir noch eine ganze Weile im Ödland verbringen.

Das Gameplay

Wenn es das Marketing mit seinen vielen Trailern und der Unterstützung von Walmart Canada nicht schon deutlich gemacht hat: RAGE 2 ist ein Action-Muskelprotz. Mit Dodges, Charges, Double Jumps und einem beachtlichen Waffenarsenal prügeln und ballern wir uns in der Egoperspektive von einer Mission zur nächsten. Wobei, eigentlich tun wir all das nur IN den Missionen.

Dazwischen reisen wir entweder zu Fuß oder mit einem Gefährt unserer Wahl im doch recht kargen Ödland umher. Die Wege zwischen Missionszielen und anderen zu entdeckenden Punkten sind mitunter recht weit.

Doch die Ruhe wird jäh von einem Umstand gestört, der in aktuellen Spielen beinahe dogmatisch um sich greift: Kein Spiel ohne aufwändigen Skilltree und Upgrademechaniken mehr!

In RAGE 2 nutzen wir nicht einfach nur ein Waffenarsenal und fetzige Fähigkeiten, um uns durch die Gegnerhorden zu metzeln. Stattdessen finden, lernen und verbessern wir unsere Spielzeuge in mühevoller Kleinarbeit.

Früher nutzten wir Spielpausen fürs Lernen oder eben jenen Wäscheberg, der sich wie eingangs erwähnt nach der Waschmaschine sehnt. Heute geißeln uns nicht zuletzt Open World-Spiele immer öfter mit Micromanagement im Rollenspiel-Style. Dabei wäre RAGE 2 vielleicht ebenso unterhaltsam, wenn man den Spielern diese Fähigkeiten einfach geben würde und wir, statt zu skillen, noch eine Banditenkompanie an die Wände ihres Camps klatschen könnten.

Im Gegensatz zu Anthem macht es in RAGE 2 durchaus Sinn, dass es im Wasteland nicht viel zu entdecken gibt.

Im Gegensatz zu Anthem macht es in RAGE 2 durchaus Sinn, dass es im Wasteland nicht viel zu entdecken gibt.

Des einen Leid, des anderen Freud’

Gerade die leere Welt und die umfangreichen Upgrades sorgen quer durch die Presse für die meiste Kritik. Und doch kann ich mich dieser nicht vollends anschließen. Im Gegenteil: RAGE 2 braucht exakt diese Pausen sogar. Denn die Kämpfe sind sehr intensiv.

Ob große Banditencamps, prall gefüllte Mutantenhöhlen oder eine Runde in der Arena – es geht richtig zur Sache. Dodgen, ballern, chargen und mit einem richtig fetten Slam mitten in der Gegnermeute landen. Umdrehen, weiterballern, die unzähligen Granaten zu ihren Absendern zurückschicken, heilen, Wechsel zur Shotgun, OVERDRIVE AN. NÄCHSTE WELLE!

Danach muss ich immer erst einmal durchatmen. Der Adrenalinpegel ist auf Anschlag und ein bisschen Skillen oder eine entspannte Autofahrt kommen da gerade recht. Vermutlich spiele ich RAGE 2 anders als manche Kollegen, aber in diesen kurzen Intervallen funktioniert das Spiel für mich persönlich am besten.

Natürlich gibt es Leute, die in Beat Saber drei Stunden am Stück auf Expert+ durch ein Hardstyle-Konzert wirbeln. Aber ein solches Erlebnis ist RAGE 2 nicht und will es auch gar nicht sein. Es hat seinen Platz genau an der Stelle, wo man mal eben durch ein paar Missionen fetzen will, sich vielleicht von einem etwas dichter besiedelten Punkt auf der Map zu Nebenaufgaben verführen lässt und so den Alltag für ein oder zwei Stündchen vergisst.

RAGE 2 ist… gewiss nicht perfekt

An anderer Stelle wirkt RAGE 2 aber so, als würde es seinem eigenen Konzept nicht ganz vertrauen. Abseits der Actionparts versucht das Spiel einfach alles, um noch mehr Alleinstellungsmerkmal zu bieten.

Das gelingt mal besser, wie in einer Stadt, deren NPCs großteils Anspielung auf berühmte Wrestler aus WWE, AEW und NJPW sowie deren Moves sind. Mal müssen wir uns aber gehörig Fremdschämen wie in der Arena samt ihrer merkwürdigen Leiterin und deren Gefolge. Die präsentiert sich als eine Fernsehshow mit einer wilden Mischung aus Bohème, Trash Varieté und einem allgemeinen Grad an Irritation, für den mir die Worte fehlen.

In Wellspring finden wir Anspielungen auf die Wrestlingstars Kenny Omega, Becky Lynch und viele mehr.

In Wellspring finden wir Anspielungen auf die Wrestlingstars Kenny Omega, Becky Lynch und viele mehr.

Die NPC-Dialoge schmecken gelegentlich so bitter wie ein übertriebenes Destillat von 90er-Jahre-Actionfilmen. Auch technisch hat zumindest die PS4-Version noch Schluckauf. Nach nicht einmal zehn Minuten crasht das Spiel zum ersten, aber auch einzigen Mal. Trotz PS4 Pro bemerken wir ganz selten aber doch Framedrops.

Fazit

Wie sehr einem RAGE 2 gefällt, hängt stark von der eigenen Erwartungshaltung und Spielweise ab. Die simple Story wird keine Preise gewinnen und ist mehr erklärendes Beiwerk zwischen den Abschnitten, in denen das Spiel glänzt. Damit sind selbstverständlich die Kampfszenen gemeint. Waffen und Skills fühlen sich in Aktion grandios an und versprechen höchst zufriedenstellende Unterhaltung.

Allerdings kann die Flut an Skills und Upgrades gepaart mit der recht leeren Szenerie auf zwei Arten empfunden werden: willkommener Ruhepol oder langweilige Pflichtaufgabe. Unterm Strich ist RAGE 2 ein gutes, aber nicht sehr gutes Spiel. Nach den jüngsten Plagiatsvorwürfen und dem Debakel rund um Fallout 76 aber zumindest wieder ein solider Release für Bethesda.


Bilder © Bethesda

Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!

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