Gast Kommentar
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Nach einem etwas halbherzigen Beginn hat die Formel 1 mittlerweile erkannt, dass SimRacing durchaus seinen Stellenwert hat. Die Königsklasse des Motorsports nimmt heute fast so etwas wie eine Vorreiterrolle ein, wenn es darum geht, eSports über die ohnehin schon damit vertraute Szene hinaus salonfähig zu machen.
Das liegt nicht nur daran, dass Teilnehmer der Formel-1-eSports-Meisterschaft mittlerweile auch auf echten Rennstrecken ihr Glück versuchen, wie etwa der zweifache Champion Brandon Leigh. Der Brite, der für Mercedes an der virtuellen Formel-1-WM teilnimmt, legte Mitte April ein achtbares Debüt in der Formel-Ford-Serie hin. Und beim Race of Champions in Mexiko siegte Enzo Bonito immerhin gegen Formel-E-Champion und Ex-F1-Fahrer Lucas di Grassi.
Aber auch die Formel 1 selbst tut ihr Möglichstes, um den – vor allem bei ihren eigenen Fans – oft noch belächelten virtuellen Rennsport zu einer ernst zu nehmenden Meisterschaft zu machen. Das Preisgeld in der Saison beträgt stattliche 500.000 Euro – mehr als die doppelte Summe, die im Vorjahr ausgeschüttet wurde.
Mittlerweile ist aber nicht nur die Formel 1 auf der virtuellen Strecke aktiv. Kaum eine Motorsport-Serie, die etwas auf sich hält, kommt heute noch ohne einen eSports-Ableger aus. Das beste Beispiel? Ende April stellte die European Truck Racing Championship ihre eigene Rennsimulation vor. Eine eigene eSports-Meisterschaft ist zwar noch nicht offiziell angekündigt, dürfte aber beim Saisonauftakt in Misano Ende Mai vorgestellt werden.
Auch die Motorrad-Weltmeisterschaft verfügt über einen eigenen eSports-Ableger. Allerdings ist der ein bisschen weniger ernst zu nehmen als Formel 1 oder Truck-Rennsport – der Unterschied zwischen dem Controller vor dem Bildschirm und dem vollen Körpereinsatz auf einem echten Motorrad ist dann doch ein anderer als der Sprung vom Sim-Lenkrad zum echten Steuer.
Auch auf der anderen Seite des Atlantik fasst der virtuelle Rennsport Fuß. Verantwortlich dafür ist die in den USA höchst beliebte NASCAR-Serie, die mit ihrem digitalen Ableger NASCAR Heat 3 eine eSports-Meisterschaft austrägt. Und: Hinter der Serie steht das Motorsport Network, ein gigantisches Konglomerat zahlreicher News-Plattformen rund um den “echten” Rennsport, der mit großem Investment die neue Meisterschaft in den Mainstream pusht.
Ein anderes Beispiel ist die Rallye-Weltmeisterschaft. Die trägt ihren vollen Kalender praktisch live auch virtuell aus. Zwar fehlt hier noch die breite Wahrnehmung – was vielleicht auch am generell schwierigen Stand des Rallye-Sports liegt – aber die Aufmachung der eSports WRC ist hochprofessionell, und die Serie ist 2019 immerhin schon in ihrer vierten Saison. Dazu kommt: Einige der WRC-eSportler sind waschechte Rallye-Piloten.
Übrig bleibt nur eine Handvoll großer Rennserien, die nicht oder noch nicht auf eine eigene eSports-Serie setzen. Die US-amerikanische IndyCar-Serie etwa hat – anders als NASCAR – noch keine eigene Meisterschaft. Selbst lizenzierte Spiele zur amerikanischen Formel-1-Konkurrenz sind Mangelware. Schade, denn das Racing in der IndyCar-Serie gehört mit zum aufregendsten, das die Motorsport-Welt zu bieten hat.
Auch die Superbike-Weltmeisterschaft steht ohne eigene Veranstaltung da. Die WorldSBK wird von der Dorna verwaltet, jenem spanischen Unternehmen, dass auch die Rechte an der MotoGP hält. Und während letztere Jahr für Jahr ein aktuelles Spiel zur WM erhält, stammt das letzte lizenzierte Superbike-Spiel SBK Generations aus dem Jahr 2012. Bleibt zu hoffen, dass die Dorna aus ihrem MotoGP-Projekt lernt und hier bald nachlegt.
Auch die Formel E, in vielen anderen Dingen ein Vorreiter, hat in Sachen eSports noch Aufholbedarf. Die Elektro-Rennserie bietet im Mobile-Game Real Racing 3 ihren Boliden an, und Anfang 2017 nahmen ausgewählte Simracer an einem großen Event teil. Eine eigene Meisterschaft fehlt aber. Noch. Denn Mitte April erschien der zur Saison 2018/19 eingeführte “Gen2”-Bolide als DLC für rFactor 2. Gut möglich also, dass wir zur im Herbst startenden Saison 2019/20 eine eigene eSports-Serie zur Formel E sehen.
Kein Zweifel: Die großen Rennserien dieser Welt nehmen den eSport mittlerweile zunehmend ernst. Das liegt auch an der neuen Generation von Rennfahrern, die in ihrer Freizeit selbst zuhause vor dem Bildschirm sitzen und virtuelle Rennen bestreiten. Es liegt aber auch daran, dass Motorsport – egal, in welcher Form – dringend neue Publikumsgruppen erschließen muss, wenn er eine Zukunft haben will.
Titelbild © f1esports.com
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