Vater unser im Code – Ignoriert werde dein Name

Far Cry 5 – der neueste Ableger des Ubisoft-Shooters – wagt sich an das Thema Religion heran. Und steht damit allein auf weiter Flur.

Im Laufe der letzten Jahre haben sich Videospiele immer öfter in ernstere Gewässer getraut. Manche haben nur den großen Zeh in Politik, Krieg und menschliche Tragödien getaucht. Andere – wir schauen dich an The Witcher 3 – sind mit einer Arschbombe mitten hinein. Bei all dem hat unsere liebste Freizeitbeschäftigung ein Thema aber weitgehend unberührt gelassen: Religion.

Entwickler und Publisher sind um dieses Thema ungefähr genauso vorsichtig herumgetänzelt wie um Adolf Hitlers– ähhh… Kanzler Heilers Schnurrbart. Anstelle sich der wirklichen Fragen der Religion zu widmen, haben sie zu plumpen Klischees gegriffen, sind in die Fiktion ausgewichen oder haben sie zum reinen Instrument der Politik verkommen lassen.

Die Punkte Gemeinschaftszugehörigkeit, Glaube, Zwang, Diskriminierung oder die Aufgabe der Individualität sind in diesen Stereotypen untergegangen. Wie das genau ausschauen kann? Ein paar Beispiele:

Woolooloooo!

Strategiespiele haben in Sachen Religion noch nie besonders viele Feingefühl bewiesen. Das müssen sie auch nicht tun. Es ist ja nicht die Aufgabe eines Age of Empires, das Privatleben seiner Truppen zu demonstrieren. Das ginge viel zu weit und würde nur vom Eigentlichen ablenken: Wir wollen uns – oder sonstwem – beweisen, was für geniale Strategen wir sind.

Und dafür ist uns jedes Mittel recht. In Age of Empires bedeutet das, dass wir Priester in unseren Tempeln ausbilden lassen, um sie dann gegen die Horden des Feindes zu schicken. Dort schreien sie ihnen ihr bekanntes “Woolooloo!” entgegen und schwupps (!) gehören die Truppen des Feindes uns.

Das ist aus zwei Gründen nicht gerade geschickt. Erstens kenne ich keinen einzigen Priester, der im Real Life “Woolooloo!” rufen würde. Zweitens – und das ist viel wichtiger – wird damit die Religion einer Bevölkerung an einen Staat gekoppelt. Anders kann man sich zumindest nicht erklären, dass ein Priester einen Soldaten konvertieren kann.

So ein Kopplung ist vom heutigen Standpunkt aber falsch. Religion ist eine wahnsinnig subjektive Erfahrung und jeder Mensch sollte selbst entscheiden dürfen, welcher er angehören möchte. Und auch aus einem historischen Kontext ist die Darstellung nicht korrekt. Es gab kaum Reiche in der Vergangenheit, die tatsächlich einer einzigen Religion anhingen. Die meisten hatten einige Minderheiten oder waren zusammengewürfelt.

Hail Atom!

Nicht viel geschickter ist es, wenn Entwickler zu den Stereotypen des reinen Fanatismus greifen, um eine Religion darzustellen. So passiert es zum Beispiel in der Welt von Fallout, wo die Church of Atom Massen von Pilgern anzieht. Die Kirche und ihre fanatischen Jünger beten in Bethesdas Science-Fiction-Reihe Atom-Energie an und sind gewillt sich für diese sogar bis an die Knochen verstrahlen zu lassen.

Die Church of Atom hat finstere Pläne in Far Harbor @ Bethesda

Die Anhänger der Kirche werden dabei übrigens miserabel dargestellt und sind weniger Gläubige als gehirn-gewaschene Fanatiker. Aber auch in anderen Spielen wird oft dieser Zugang auf Religion gezeigt. Selten bekommt man die netten Leute zu Gesicht, die ja eigentlich nur auf der Suche nach einer Gemeinschaft sind. Außer vielleicht, wenn sie sich mit Fackeln und Mistgabeln auf Hexen stürzen.

Meistens sehen wir den wahnsinnigen Fanatiker mit seinen nicht weniger fanatischen Anhängern, der gegen jede Logik alles für seinen Gott tun würde. Nicht, dass ich dieses Klischee schlecht machen will, ich finde nur schade, dass die andere Seite der Medaille so selten gezeigt wird. Also die positiven Seiten von Glaube und Religion.

Bei Zeus!

Obwohl… Das stimmt nicht ganz. Es gibt tatsächlich eine Ausnahme zu dieser Regel. Die gilt allerdings nur, wenn Religion nicht mehr wirklich als solche bezeichnet werden kann: Wenn die Götter, zu denen die einfachen Leute beten, real sind. Ich weiß, ich weiß, für jeden gläubigen Christen ist Gott auch real, aber der wandelt seltener auf dem Schlachtfeld herum und kämpft an deiner Seite. Davon rede ich.

Dieser für Fantasy-Spiele typische Zugang findet sich immer wieder in Games ein. In The Elder Scrolls begegnen wir mehr oder weniger netten Dämonenfürsten und müssen ihre Gunst erwerben. In Black and White schlüpfen wir selbst in die Haut eines Gottes und müssen unserem Volk im Kampf gegen den Feind unterstützen – und teilweise auch bei der Ernte.

Groß… © Square Enix

Final Fantasy geht sogar noch einen Schritt weiter und gibt uns gleich die Möglichkeit, die Götter im Kampf an unsere Seite zu rufen, damit sie uns helfen, unsere Feinde in Boeuf Stroganoff zu verwandeln. Und in God of War oder Darksiders wird die Mythologie sogar selbst lebendig, nur um von uns geschnetzelt zu werden.

All diese Spiele haben das Problem, dass es dabei aber nicht um Religion im Sinne der Realität geht. Im Gegensatz zu den Leuten in Tamriel können wir nicht an Schreinen beten und ein Gott oder Dämon wird uns erscheinen. Von uns wird blinder Glaube an die Sache verlangt.

Ein Lichtblick in der Sache?

Nach langer Zeit könnte sich nun aber endlich ein Spiel ernsthaft mit der Thematik auseinandersetzen. Das heute erschienene Far Cry 5 schickt uns in einer fiktiven Kleinstadt im US-Bundesstaat Montana gegen eine christlich-radikale Sekte. Damit rückt es nicht nur die Geschichte seines angeblichen Propheten in den Vordergrund, sondern übt auch harsche Kritik am weiß-christlichen Amerika. Sehr zum Unmut ebenjener (wir haben berichtet).

Anstelle diese Geschichte hinter Fantasy zu verstecken oder sie nur in eine Nebenquest zu packen, könnten wir so endlich mal einen ernsthaften Zugang zu Religion in einem Videospiel sehen. [Anm.: Screaming Pixel ist bisher leider noch nicht dazu gekommen, das Spiel zu probieren.]

Und vielleicht – nur vielleicht – können wir so ja endlich darauf hoffen, dass auch dieses Thema in Zukunft mit der Ernsthaftigkeit behandelt wird, die es verdient. Denn wenn Videospiele sich relevanten Themen annehmen wollen, dann dürfen sie die Religion  auf keinen Fall ignorieren.


Titelbild © Ubisoft

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Autor/Autorin

Clemens Istel

Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!