Schärfere Grafik, schönere Schatten und unzählige kleine Details schauen nett aus. Letzten Endes machen sie Spiele aber nicht immer besser. Sie führen teils sogar zum Gegenteil. Von Florian Born.
Wir haben da eine Frage für euch: Machen viele Details ein Videospiel besser? “Ja. Schon”, werdet ihr jetzt sagen. Ergibt doch auch irgendwie Sinn, dass ein Spiel besser wird, wenn man Zeit hineinsteckt und ihm mit so manchem netten Detail mehr Tiefe gibt.
Aber es gibt ein Problem mit dieser Schlussfolgerung. Versteht uns nicht falsch. Sie ist richtig. Das Problem liegt auch nicht in der Antwort, sondern in der Frage selbst. Die ist, wenn man genau darüber nachdenkt, nicht die Frage, die wir uns und euch stellen sollten. Die richtige Frage lautet:
Wie viel Mehrwert und Spielspaß bringen die Details in Relation zu dem Aufwand, den das Studio in sie hineinstecken muss?
Diese Frage ist auch von einem wirtschaftlichen Standpunkt aus schlüssig. Wie viel Arbeit und Ressourcen muss ich hineinstecken, um einen gewissen Effekt zu erzielen? Oder – an einem aktuellen Beispiel aufgehängt:
Wie viel Zeit und Geld musste Rockstar in die Hoden seiner Pferde investieren und wie groß ist der Mehrwert für die Spielenden?
Keine Frage: Die Existenz der größenverändernden Pferdehoden im Western-Epos ist ein durchaus amüsantes Detail, aber wäre unser Spielspaß wirklich so viel geringer, wenn die Pferdehoden einfach gleich groß blieben, oder ganz fehlen würden?
Wirtschaftliche Entscheidung
“Jaja, schön und gut”, werdet ihr jetzt vielleicht sagen. “Das mag ja nutzlos sein, aber letzten Endes ist es ja die Entscheidung von Rockstar, wie viel Geld sie in Pferdehoden pumpen.”
Grundlegend hättet ihr damit recht. Es ist Rockstars Entscheidung und wirkt sich in erster Linie auf ihr Budget aus. Aber die Effekte hören hier nicht auf, sondern ziehen sich eben weiter bis zum Endprodukt, das wir in die Hände gedrückt bekommen. Wie?
Jedes Element, das in einem Spiel landet, erfordert Ressourcen. Wenn ich mich dazu entscheide, Zeit, Arbeitskraft und Geld in den Dampf zu investieren, den ein Pferd ausstößt, wenn es ein wärmeres Gebiet betritt (erneut RDR2), kann ich diese Ressourcen nicht für etwas anderes verwenden. Etwas, das sich vielleicht wirklich positiv auf das Spiel ausgewirkt hätte. Zum Beispiel in klügere Pferde oder ein besseres Gunplay.
Außer natürlich, ich stecke mehr Geld in mein Produkt hinein, was sich letzten Endes auf den Preis für die Spielenden auswirkt. Vielleicht nicht dadurch, dass ich den Preis in den Läden anhebe, aber durch “alternative” Monetarisierungsmethoden. Special Editions, Mikrotransaktionen und Season Passes lassen grüßen.
Oder aber – Variante drei – ich mache keins von beiden und trickse das System aus, indem ich meine Angestellten Überstunden machen lasse und es als den gewöhnlichen Crunch innerhalb des Unternehmens verkaufe. Wir raten aus ethischen Gründen von Variante drei ab.
Ressourcenaufwand
Egal, für welche Variante sich ein Unternehmen entscheidet, es ist klar, dass dieser Drang zu immer größerem Detailgrad immer nur in Form von Ressourcenaufwand zu bewältigen ist. Mit negativen Konsequenzen. Entweder durch Abstriche an anderer Stelle, durch Mehrkosten oder durch die Ausbeutung der Belegschaft.
Und wofür das Ganze? Für noch glattere Texturen? Für Schatten, die noch ein bisschen schöner fallen? Für mehr Variation in den Kleidern unserer Charaktere? Oder Pferdehoden, die die Größe verändern? [Anm.: Ja, die nerven mich wirklich.] Bekommen wir dadurch wirklich mehr Spielspaß? Oder ist es ein Detail, das uns einmal auffällt, mit einem “Nett!” kommentiert wird und uns dann nicht mehr interessiert?
All diese Details, diese Verbesserungen der Grafik, der Texturen und der Schatten tragen offensichtlich weniger zum Spielspaß bei, als Mechaniken, Storylines und Abwechslungsreichtum. Nichtsdestotrotz fressen sie Ressourcen en masse, die stattdessen in einen wirklich Mehrwert investiert werden könnten. Ich verweise nochmal auf besseres Gunplay.
Sie sind zum Selbstzweck verkommen, dem Studios und Publisher hinterherhecheln, um es sich auf die Fahnen zu schreiben. “Wir haben die schönste Grafik!”, “Wir haben die meisten zählbaren Grashalme!” oder “Wir können die hübschesten Schatten produzieren!”
So viel Selbstzweck
Nicht nur Details und Grafik sind Teil dieses ressourcenfressenden Arms Race’. Es gibt auch noch anderes, das nur in Spielen landet, damit diese auf dem Papier ein wenig besser aussehen. Selbstredend ist der Mehrwert, den sie dem Spiel und den Spielenden bringen per se aber nicht besonders groß.
Da wäre – Open-World-Ermüdete können nun in wilde Zustimmungsrufe ausbrechen – die Größe der Spielwelt. Natürlich wirkt es toll, wenn ich in meine Marketingkampagne schreiben kann, wir können fünfunddrölfzig Quadratkilometer erkunden. Wenn diese Fläche aber – wie zum Beispiel in Assassin’s Creed Odyssey – aus mehreren Kilometern gerader Linie auf hoher See ohne eine Begegnung mit einem Schiff oder einer erkundbaren Unterwasser-Ruine besteht, darf der Nutzen dieser großen Welt aber angezweifelt werden.
Gleiches gilt für die Anzahl der Spielstunden. Müssen es wirklich 195 sein, wenn mehr als drei Viertel davon letzten Endes nur aus einem harten Grind in einer leeren Umgebung und aus repetitiven Aufgaben bestehen?
Auch Online-Spiele sind davon nicht ausgenommen. Ein Deathmatch oder ein Battle Royale werden eben doch nicht dadurch lustiger, wenn mehr Spielende auf der Map herumlaufen.
Selbstverständlich: All diese Beispiele – Details, Weltgröße, Spieldauer, Zahl der Köpfe – können den Spielspaß vermehren. Aber dafür müssen sie eben richtig eingesetzt werden und nicht nur um des Marketingwerts oder ihrer selbst Willen. Was das für Publisher und Studios heißt?
Schluss mit der Aufrüstung
Beendet das Arms Race um Spieldauer, Weltgröße und Detailgrad. Verschont uns mit nutzlosem Firlefanz, der uns maximal einmal positiv auffält. Hört auf, nach irgendwelchen Maßstäben zu streben, die niemandem etwas bringen außer euren aufgeblasenen Egos.
In anderen Worten, liebe Entwickler und Publisher: Lasst Grafik, Spieldauer und Weltengröße stagnieren. Belasst sie doch einfach auf dem Niveau, auf dem sie jetzt sind. Investiert eure Zeit, euer Geld und eure Ressourcen lieber in etwas Nützliches.
Und was euch spielendes Volk betrifft: Hört auf, euch davon blenden zu lassen. Hört auf, die Nullaussage der großen Tiere Branche “Der Markt verlangt bessere Grafik” zu unterstützen. Denkt mal ernsthaft darüber nach, ob es euch wirklich Spaß macht, minutenlang durch leere Felder zu laufen und wie viel Freude euch manche Details wie Pferdehoden wirklich bereiten, oder ob ihr damit nur in die Falle einer milliardenschweren Industrie tappt.
Titelbild © Rockstar
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Ingo#1
Google.com liefert für „Red Dead Redemption 2“ 209.000.000 Suchergebnisse. Für „“Red Dead Redemption 2 horse balls“ sind es immer noch 7.460.000. Das sind knapp 3,57% und da sind jetzt andere Schreibweisen bzw. Ausdrücke noch gar nicht eingerechnet. Wenn man den Buzz bedenkt, den dieses „Feature“ verursacht hat, dann bin ich mir nicht mehr sicher, ob sich der Einsatz aus Sicht des Marketings nicht doch ausgezahlt hat? Klar, für das Spiel macht es keinen Unterschied, ob Pferdehoden schrumpfen (oder ob ein Pferd im Spiel überhaupt Hoden hat). Und nein, ich weiß nicht ob sich der ROI auszahlt, ich kann den Programmieraufwand nicht abschätzen, aber es gibt definitiv einen. Von daher… 🙂