Battlefield V wird aktuell wegen seiner mangelnden historischen Akkuratesse kritisiert. Das ist nicht nur dämlich, historische Genauigkeit ist für Spiele noch dazu ein diskutables Ziel.
Habt ihr mitbekommen, dass es einen ersten Trailer zu Battlefield V gab? Falls nicht, bin ich erstens neidisch – ich hätte mir den ganzen Aufruhr rund um das Thema gern selbst erspart – und zweitens lasse ich euch gern an meinem Wissen teilhaben:
In diesem Trailer stürmt unser First-Person-Soldat in ein Gebäude und das erste, das wir sehen, ist eine Frau. Eine weibliche Soldatin, um genau zu sein. Und das ist nur der Anfang. Man spielt in diesem Shooter – angesiedelt im zweiten Weltkrieg – auch Teile der Kampagne aus der Sicht einer Frau und vom Cover schaut uns auch ein weibliches Gesicht entgegen.
#NotMyBattlefield
Was als Nächstes passiert ist, lässt sich erahnen: Einige besorgte/erzürnte/gelangweilte Spieler haben sich auf diesen Umstand gestürzt und im Internet mit dem Hashtag #NotMyBattlefield verkündet, dass das kompletter Humbug sei! Es gab keine Frauen an der Frontlinie während dem Konflikt – vor allem nicht als Soldatinnen – und Battlefield V sei damit komplett historisch inakkurat. [Anm.: Ja, viele prangerten unter dem Hashtag auch den comichaften Stil des neuen Battlefield an und diese User klammern wir selbstverständlich aus.] Entwickler DICE hat im Übrigen zu keiner Zeit den Anspruch auf historische Genauigkeit erhoben.
Ich könnte das zerpflücken und einerseits argumentieren, dass es sehr wohl Frauen im Kampfgeschehen des zweiten Weltkriegs gab. Zum Beispiel bei den Russen aber auch in den Flugzeugen anderer Alliierter Mächte oder unter den Partisanen-Kämpferinnen. Oder – und das ist noch viel wichtiger – dass es ziemlich bescheuert ist Battlefield wegen seiner historischen Inakkuratheit anzuprangern. Beweisstück A:
Aber ich mache nichts davon. Einfach weil mich die Debatte nervt und ich der Meinung bin, dass wir eine ganz andere Frage stellen sollten:
Ist historische Genauigkeit in Spielen überhaupt ein Ziel, auf das wir hinarbeiten sollten?
Meine Antwort: Nein. Und das folgende Gründe:
1. Historische Akkuratesse ist nicht machbar
Das Problem mit der Vergangenheit ist, dass sie vergangen ist. Wir können nicht – wie sonst in einem wissenschaftlichen Prozess – durch genaue Studien und Experimente zu einer absoluten, objektiven Wahrheit kommen. Wir können leider auch noch immer nicht in die Vergangenheit schauen und überprüfen, was denn nun wirklich passiert ist. Stattdessen müssen wir auf die Quellen von damals vertrauen. Auf Bücher, Briefe, Aufzeichnungen.
Die stammen sehr oft von Personen in hohen Positionen, denn andere konnten beispielsweise im Mittelalter ja gar nicht schreiben. Sie stammen von den Personen, die in Konflikten die Oberhand gewonnen haben, denn die Geschichte wird ja bekanntermaßen von den Siegern geschrieben.
Was bedeutet das für uns? Dass die Mächtigen und die Sieger von damals für die Geschichte verantwortlich sind, die wir heute als “richtig” beurteilen. Und die haben nunmal die Tendenz dazu, ihre Feinde als böse und die Machtlosen als dumm, schmutzig, nutzlos, wertlos und schwach darzustellen. Nicht unbedingt aus Böswilligkeit, aber weil es aus ihrer Perspektive eben so ist.
Dementsprechend werden der Einfluss, die Stellung und die Fähigkeiten von Minderheiten, Frauen, Kindern und Menschen mit Behinderung – um nur einige benachteiligte Gruppen zu nennen – sukzessive heruntergespielt. Das wiederum zeigt sich nun in den historischen Überlieferungen. Neben archäologischen Funden unsere einzigen Quellen zur Darstellung der Vergangenheit.
Wenn ein Studio nun ein Spiel programmiert mit dem Ziel, historisch akkurat zu sein, dann greift es auf diese Quellen zurück. Es sind schließlich die einzigen, die es gibt. Selbst mit den besten Intentionen und dem größten Aufwand ist eine wirklich akkurate Darstellung der Vergangenheit nicht möglich. Zumindest nicht ohne Zeitmaschine.
2. Historische Akkuratesse um ihrer selbst Willen ist kein gutes Ziel
Der wichtigste Aspekt der Geschichte für uns Menschen der Gegenwart sollte immer sein, dass wir aus unserer Vergangenheit lernen. Wir sollten zurückblicken und uns denken: Gut, dass wir Konflikte wie den zweiten Weltkrieg überwunden haben.
Wenn wir also einfach nur historisch akkurate Spiele gestalten, die aber nicht genauer auf diese Vergangenheit eingehen oder Kontext geben, dann haben sie den eigentlichen wissenschaftlichen Nutzen der Vergangenheit eingebüßt. Was ihnen bleibt, ist natürlich der Unterhaltungswert. Und selbst der ist eingeschränkt.
Auch die Armprotese soll es nach Meinung vieler #NotMyBattlefield Kritiker nicht gegeben haben
Bei einem wirklich historischen Spiel, würden unsere Schusswaffen des 17. Jahrhunderts deutlich seltener treffen. Unsere Ritter würden im Schlachtgetümmel durch die Hitze in ihrer Rüstung kollabieren. Und unsere tapferen Soldaten im zweiten Weltkrieg würden sich wahrscheinlich in den Schlaf weinen, von Albträumen verfolgt werden und danach noch Jahrzehnte unter PTBS leiden.
Wirklich viel Spaß macht nichts davon. Auch wenn es im Sinne so oft geforderter historischer Korrektheit thematisiert werden müsste!
Wie schon erwähnt: Die Vergangenheit war nicht so toll. Egal was uns so manche Lobhudeleien der “guten alten Zeit” vorgaukeln wollen, für einige Leute, war es damals ziemlich kacke. Das ist auch noch heute so, aber wir sind ja tatsächlich auf einem guten Weg. Zum Beispiel dürfen Frauen bei uns wählen und selbst entscheiden, wen sie wann heiraten. Kinder werden auch weniger oft geschlagen und die Kirche kann keine Leute mehr am Scheiterhaufen verheizen.
Früher war das anders und ein historisch akkurates Spiel müsste diese Tatsachen natürlich einbauen. Kind verprügeln, weil es zu spät gekommen ist? Klar! Sexuelle Gewalt gegen Frauen, weil die noch keine Rechte haben? ‘Türlich! Mann mit Behinderung quälen, einfach weil er existiert? Gerne!
Was? Ihr fühlt euch unwohl? Solltet ihr auch, denn solche Fälle kamen in der Vergangenheit noch weitaus häufiger vor als heute. Aber mit weit weniger Widerspruch und (medialer) Aufmerksamkeit. Genau das müsste ein historisch akkurates Spiel auch zeigen. Man müsste diese furchtbaren Szenen einbauen und die Spielwelt dürfte praktisch keine Kritik daran äußern, weil das ja damals auch niemand getan hat. Es wäre schlicht historisch nicht akkurat.
Soweit so gut, höre ich euch schon sagen. Alles ist scheiße und wir werden nie wieder echte Ritter spielen können. Was sollen wir bitteschön stattdessen machen? Da gibt es zwei Möglichkeiten. Eine zeitaufwendige und eine effizientere.
Viel Aufwand
Bei der aufwendigen Methode müsste man wie bisher ein historisch akkurates Spiel anstreben. Dazu müsste man von Anfang an deklarieren, dass dieses Spiel durch historische Ereignisse beeinflusst ist und dass zusammen mit Historikern und Historikerinnen versucht wurde, eine möglichst akkurate Darstellung anhand der vorhandenen Quellen zu schaffen. ABER es muss auch ein Absatz folgen, dass man wisse, dass das nicht vollständig möglich sei.
Außerdem kann eine Darstellung nur dann gelingen, wenn die Geschichte in einen Kontext gesetzt wird. Entweder – wie wir es in zu Beginn von Wolfenstein 2 gesehen haben – durch erschreckende Szenen, die wir als Hauptcharakter selbst erleben, oder nicht verhindern können. Hier überträgt sich der Schock auf uns und wir erfahren durch unsere eigene Gefühlswelt, was das Erlebte bedeutet.
Oder aber, indem wir die Vergangenheit durch die Linse der Gegenwart betrachten. Wie bei Assassin’s Creed. Hier würden wir dann eben von anderer Seite den Kontext bekommen.
Oder aber es geschieht wie gerade in Battlefield V. Hier hat man sich bewusst dazu entschieden, andere Wege zu gehen. Deshalb kämpfen hier eben Frauen, Schwarze und Leute mit Prothesen im Krieg. Weil man auf die ohnehin nie erreichbare historische Akkuratheit verzichtet hat, um mehr Leute zu inkludieren. Weil man die Zukunft vor die Vergangenheit gestellt hat.
Die Diskussion bleibt aktuell
Battlefield V ist natürlich nicht das einzige Spiel in dessen Dunstkreis die Diskussion um historische Genauigkeit geführt wird. Schon um das kritisch beäugte Kingdom Come: Deliverance und dessen umstrittenen Chefentwickler trafen wir in jüngerer Vergangenheit auf das Thema.
Nach den Statements von Kingdom Come Chefentwickler Daniel Vávra und Executive Producer Martin Klima zur fragwürdigen Mittelalterdarstellung in Kingdom Come: Deliverance und zu Vávras politischer Gesinnung begrüßten alle eine positive Entwicklung der Debatte. Immerhin steht Vávras Statement von nun an “White Supremacy”-Anhängern mit im Weg, wenn diese das Mittelalter zu einer rein “weißen” Geschichte umdeuten wollen.
Ganz großes Kino, dieser Kommentar
Diese Entwicklung scheint aber noch nicht alle erreicht zu haben. Auf der Vertriebsplattform Steam finden sich erneut Kommentare, die nun Ancestors: Legacy für den Mut feiern, nach Kingdom Come das Mittelalter wieder zu zeigen, “wie die Zeit nunmal auch gewesen ist”: “Alles männliche Europäer.” Historische Genauigkeit bleibt weiter ein brandheißes Thema – egal ob man sich mit ihr beschäftigt oder nur nach ihr schreit.
Schon als Kind hatte Clemens lieber den MegaDrive Controller als das Fläschchen in der Hand. Rund ein Vierteljahrhundert macht er bereits virtuelle Welten unsicher. Ob RPG oder FPS, kaum ein Genre ist vor ihm sicher. Selbst im ESport hat der "Head of Head off" von Screaming Pixel seine Erfahrungen gesammelt. Grundsätzlich gilt für ihn: Je openworlder, desto zock!
Sehr schöner Artikel! Gerade den zweiten Punkt möchte ich noch einmal hervorheben. Spiele sind in erster Linie eben Spiele und keine wissenschaftlichen Publikationen. Daher sollte auch immer der Spielspass im Fokus stehen. Mein Lieblingsbeispiel dafür ist Stronghold 2, wo man „für realistischeres Burgfeeling“ Rattenplagen und sich stapelnde Misthaufen eingebaut hat. Diese Elemente waren lediglich Störfaktoren und mussten ständig beseitigt werden. Das war weder herausfordernd, noch irgendwie interessant oder spaßig. Dazu sah die Burg halt nicht mehr so schön aus, wenn man 1000 Falknereien und Jauchegruben überall hatte. 😀
Björn Hennig#1
Sehr schöner Artikel! Gerade den zweiten Punkt möchte ich noch einmal hervorheben. Spiele sind in erster Linie eben Spiele und keine wissenschaftlichen Publikationen. Daher sollte auch immer der Spielspass im Fokus stehen. Mein Lieblingsbeispiel dafür ist Stronghold 2, wo man „für realistischeres Burgfeeling“ Rattenplagen und sich stapelnde Misthaufen eingebaut hat. Diese Elemente waren lediglich Störfaktoren und mussten ständig beseitigt werden. Das war weder herausfordernd, noch irgendwie interessant oder spaßig. Dazu sah die Burg halt nicht mehr so schön aus, wenn man 1000 Falknereien und Jauchegruben überall hatte. 😀